Vent'anni d'opposizione al restauro
del Cenacolo vinciano
I Vizi Capitali - The Seven
Deadly Sins
Dipinti e disegni in mostra
Mario Donizetti è considerato fra i massimi esponenti dell'arte figurativa e tra i maggiori ritrattisti della pittura del nostro tempo. Ha pubblicato nel 1992 "Perchè Figurativo", nel 1995 "Razionalità della Fede e della Bellezza", nel 1996 "Lettera a Parmenide", nel 1997 "Lettera a Platone", nel 1999 "Argomenti di estetica". Time magazine ha pubblicato in copertina alcuni suoi ritratti fra i quali il ritratto di Papa Giovanni Paolo II (1985) oggi alla National Portrait Gallery, Smithsonian Institution di Washington. Nel 1983 ha ricevuto dalla "Pinacoteca Ambrosiana" di Milano l'onore di un'esposizione antologica di dipinti e disegni nelle Sale del Museo. Una sua crocifissione è fra le opere esposte al Museo Tesoro della Basilica di S. Pietro in Vaticano. Collabora a giornali e riviste con saggi di estetica e diagnostica del restauro. |
Griffbereit habe ich zwei Bände Ihrer „Vorlesungen
über die Ästhetik“, die ich noch einmal lesen will. Ich glaube einer der
Adressaten Ihrer Lehren zu sein und schreibe Ihnen heute, weil ich den
wissenschaftlichen Beweis erfahren habe, daß Ihre Ästhetik, wie ich schon
immer bezweifelt hatte, wahrhaftig ein Luftschloß ist.
Meines Erachtens ist schon in der Einleitung zu Ihrem gewichtigen Werk
der grundlegende Fehler Ihrer Doktrin zu finden. Wie bereits in wundersamer
Weise in Ihrer „Wissenschaft der Logik“ dargelegt, behauptet diese Grundlage,
daß „das Endliche“ nicht wahres Sein ist: Sie beschließen, es mit
folgenden Worten ins Unendliche verschwinden zu lassen: „Was ist, ist nur
das Unendliche“ (Hegel, Wissenschaft der Logik, Suhrkamp 1996,
S. 150). Sie entscheiden, ohne jedoch zu überzeugen, daß die endlichen Dinge
als solche eine „nur täuschende äußere
Gegenwart“ sind (Hegel, Vorlesungen über
die Ästhetik, Suhrkamp 1999, S.
72).
Ihre Anschauung ist bestürzend. Ich glaube nicht, daß nur die Gegenstände,
die wir wahrnehmen und von denen wir aus reinem Anthropozentrismus denken, daß
sie um uns kreisen, „endlich“ sind. Endlich ist auch unser vernünftiges
Sein.
Und wenn, wie Sie sagen, das Vernünftige wirklich ist, wird wirklich und
nicht nur täuschend sein, wer dieses Wirkliche vernünftig denkt. Und wenn also
der Vernünftige denkt, daß das Endliche wirklich und nicht eine täuschende
Gegenwart ist, wird wohl jenes Unendliche täuschend sein, welches der Vernunft
entweicht und dabei unverständlich wird und welches Sie für das wahre „Dasein“
halten.
Sie dachten, die physischen Lebewesen wären die „Endlichkeit“ in der
entgegengesetzten Bedeutung zur „Unendlichekeit“.
Sie glauben, die Totalität sei nicht die „Unendlichkeit“, denn Sie
meinen, daß jedes „endliche“ Wesen ein solches dank seinem „Gegensatz“
ist, der als Gegensatz der endlichen Dinge nicht auf eine endliche Summe beschränkt
werden kann.
Aber diese theoretisch ausgearbeitete Wahrheitsschöpfung überzeugt nur
die Träumer. Ich könnte mir nämlich genauso wie Sie ein Wesen als „Gegensatz“
eines Kunstwerks ausdenken und dabei verschweigen, daß der Gegensatz der Mangel
des Kunstwerks ist und jedoch diesen Mangel mit einem Namen bezeichnen, der die
Illusion seiner Existenz als ein dem Kunstwerk entgegengesetztes Wesen verliehe,
so wäre das Kunstwerk ein solches dank dem Bestehen des Verhältnisses zu
seinem Gegensatz. Aber es ist allen offensichtlich, daß der Gegensatz des
Kunstwerks der einfache Mangel des Kunstwerks ist, das heißt ein Wesen, das es
in der Wirklichkeit nicht gibt. Dies bedeutet auch, daß jedes Werk, soweit von
der projektmäßigen Finalität gewollt, ein Kunstwerk ist und daß die Werke
nur stufenweise vortrefflich oder geringfügig sind, jedoch die kleinen und die
großen nicht im Gegensatz zueinander stehen. So ist es Ihrem „Unendlichen“
ergangen, das es nicht gibt, es aber dadurch, daß es einen Namen erhalten hat,
scheinbar existiert.
Sie werden mir immer wieder entgegensetzen, daß die Totalität der
endlichen Dinge nicht die Unendlichkeit sein kann, sondern endliche Totalität.
So frage ich Sie also, wie eine endliche Totalität in ein „Unendliches“
verschwinden kann, das sich weigert, eine Totalität zu sein und gleichzeitig
eine vom Endlichen unterschiedliche Natur für sich beansprucht, andernfalls wäre
es dieselbe Totalität. Dieses Unendliche, das Sie als einzige Wirklichkeit
definieren, beansprucht eine Unterschiedlichkeit der Natur im Vergleich zum
zahlenmäßigen Unendlichen. Aber das „Endliche“ ist sich sowohl seiner
selbst, als auch des zahlenmäßigen Unendlichen bewußt, da es ein Teil davon
ist. Die persönliche Existenz der endlichen Seienden ist einzig und
unwiederholbar, ihre einfache und alleinige Existenz läßt sie also wirklich
und nicht täuschend „sein“.
Im Bewußtsein seiner selbst bestimmt dann das Endliche selbst seine
eigene Grenze. Um die Idee der Endlichkeit haben zu können, hat das Endliche
notwendigerweise die Idee der Unendlichkeit (als Totalität).
Es ist sich also der Unendlichkeit bewußt und gehört daher vernunftmäßig
dazu. Sie behaupten ohne Einschränkungen, und deshalb falsch, daß das Vernünftige
wirklich ist, also müßte unsere Endlichkeit wirklich sein, da sie vernünftig
ist, aber wenn eine der beide notgedrungen verschwinden muß, ist es die von
Ihnen erdachte Unendlichkeit, da sie an Selbstbewußtsein mangelt und daher außerhalb
jeglicher Rationalität steht.
Ihre Unendlichkeit weist also in diesem Mangel, da es ein Mangel ist, die
Grenze auf, die sie als Unendlichkeit annulliert und es einfach zur Totalität
der Endlichkeit zurückführt, daher was „ist“, ist nur die Endlichkeit, die
die Totalität bildet.
Herr Professor, was meiner Meinung nach eigentlich verschwinden soll ist
die Illusion der „reinen“ Unendlichkeit, das Reine jedes Seins und
Nichtseins, die reine Kunst und die „höchsten Bedürfnisse“, denn wenn man
der Wirklichkeit die geschmähten „Zufälle“ entzieht, bleibt von der
Wirklichkeit nichts übrig und tatsächlich gibt es im Encephalon keine
Neuronantwort, wenn man kein unreines, relatives, sinnliches, endliches Bild
wahrnimmt. Dies
werden Sie am Ende meines Briefes sehen, aber sagen Sie mir bloß nicht, daß
der Verstand auch das denkt, was die Sinne nicht wahrnehmen, weil es
wissenschaftlich nicht stimmt. Wenn nämlich „die Sinneswahrnehmung eines
Umweltreizes versuchsweise geändert wird, ändert sich die Struktur der
Gehirnpartie, die für seine Integration zuständig ist. Folgendes ist ein
Beispiel von G. Moruzzi. Wenn man die Sichtwahrnehmung umkehrt, indem man ab der
Geburt vor ein Auge eine permanente Linse setzt, die die Bilder um 180º dreht,
erhält man eine im Vergleich zur Gegenseite umgekehrte Strukturierung der
betroffenen Okzipitalrinde“ (Vittorino Andreoli, La norma e la scelta, Mondadori
1984, S. 25).
Diese Tatsache beweist, daß die Strukturalform des Gehirns von den
Sinnesreizen der Außenwelt abhängt. Und da die Vernunft, d.h. die Funktion des
Gehirns von seiner Struktur abhängt, muß die Vernunft notgedrungen von den
Reizen der Außenwelt abhängen und jedenfalls mit der Außenwelt in Simultaneität
stehen.
Man versteht, daß die Strukturalform eines Fußes simultan zum Zweck
seiner Funktion steht. Wenn man mit einem Trick das Sprungbein des Fußes
durch das Keilbein der Nase ersetzen könnte, würde der Fuß seine
logische Funktion, die logischerweise das Gehen ist, verlieren.
Also müssen Gehirn und Verstand notwendigerweise dieselbe Beziehung
zueinander haben wie der Fuß und das Gehen. Die Logik des Gedankens würde geändert
oder verhindert werden, wenn die Gehirnstruktur – wie für die Funktion des Fußes
– geändert bzw. verhindert oder umgekehrt werden würde. So ist die Logik des
Gedankens, d.h. das Denken, die logische Funktion des Gehirns, wie das Gehen die
logische Funktion des Fußes ist. Wenn also das Denken von der Struktur des
Gehirns und diese von den Sinneswahrnehmungen abhängen, so geht es daraus
hervor, daß es zwischen dem Wirklichkeitsdenken und dem Wirklichkeitswahrnehmen
keinen Widerspruch geben kann. Zwischen der vernünftigen bzw. encephalischen
Wirklichkeit und der außerhalb des Encephalons stehenden Wirklichkeit ist es
erforderlich, es bestehe kein Inhaltsunterschied.
Dies bedeutet jedoch nicht, daß die Vostellung, die wir von einem
Gegenstand haben, die gesamte Wirklichkeit des Gegenstandes darstelle.
Die Wirklichkeit ist notwendigerweise mengenmäßig größer als ihre
encephalische Vorstellung. Die Wirklichkeitsvorstellung nimmt von der
Wirklichkeit nur das wahr, was für sie von planmäßig lebensnotwendigem
Interesse ist. Es ist eben diese Fähigkeit, in der Wirklichkeit unseren
planmäßigen Nutzen wahrzunehmen, was die Wirklichkeit für den darauffolgenden
Eingriff unseres Plans entwickelt. Wenn es nicht so wäre, wäre die
Wirklichkeit unbeweglich.
Der Ablauf scheint mir folgender zu sein: Einige Teile der Wirklichkeit
gehen mittels der Sinne darstellerischer- und finalistischerweise ins Encephalon
über und setzen sich im Gedächtnis fest. Der Künstler erarbeitet anhand
dieser Daten eine neue Form und erzielt dadurch das Einsetzen eines Analogieverhältnisses
der Finalität der künstlerischen Form zur Finalität der Form der Natur.
Diese Analogie der Kunstformen, genannt „Ähnlichkeit“ zu den Formen
der Natur, ist leider der Ursprung eines Irrtums, nämlich jener zu denken, daß
die einfache Kopie der Naturform (wenn eine solche Kopie überhaupt möglich ist)
der Inhalt der Kunst sei. Aber der Ausdruck „Ähnlichkeit“ entspricht nicht
dem Ausdruck „Analogie“. Der erste ist wegen der Unvorsichtigkeit der
Vernunft nur auf die Formen und nicht auf ihre Funktionen bezogen. Und da jede
Form einzig und unwiederholbar ist, weil eine Form, die einer anderen identisch
ist, eine der anderen identische, also eine hinsichtlich der Natur nutzlose
Funktion hätte, ist es
erforderlich, daß die „Ähnlichkeit“ zwischen den Formen, wie ich bereits
gesagt habe, auf eine Unvorsichtigkeit der Vernunft zurückzuführen sei. Der
Begriff der Analogie hingegen gründet sich auf die Form der Finalität und
nicht auf die Täuschung der Ähnlichkeit. Sie werden mich fragen, worin formell
diese Finalität in einem Kunstwerk besteht. Da ich Ihnen schreibe, um Ihnen
sagen zu können, daß nur die Form Inhalt ist, werde ich Ihnen antworten,
daß die Finalität, d.h. das Projekt des Künstlers sich in der künstlerischen
Form durch das Ausschließen von formellen Elementen der Natur und das Einschließen
von anderen formellen Elementen der Natur konkretisiert. Die ersten werden
ausgeschlossen, da sie dem Projekt des Künstlers nicht entsprechen, die zweiten
werden verwendet, um es hervorzuheben. Diese Selektion der Naturform, umgesetzt
in die Kunstform, wird durch den Vergleich der künstlerischen Form mit der Form
der Wirklichkeit hervorgehoben. Der Unterschied zwischen der künstlerischen und
der genetischen Form ist konkret formell, d.h. konkret zweckgerichtet. In diesem
Sinne hat der moderne „Expressionismus“ diese Wahrheit genau getroffen,
wobei er jedoch durch übermäßiges Ausschließen bzw. Einschließen von
zweckgebundenen Formen mangelhaft wird. Die Bilder, finalistisch überspitzt,
verlieren an Glaubwürdigkeit. Damit will ich sagen, daß der Vorschlag des
expressionistischen Künstlers einen bindenden, andauernden Zwangswert annimmt.
Um dem Empfänger nicht störend zu fallen, sondern von ihm akzeptiert zu
werden, hat der Vorschlag des Künstlers ergeben und jedoch fest, zugänglich
wenn auch intransingent, deutbar wenn auch eindeutig zu sein.
Schließlich hat er wie die Natur zu sein: projektmäßig offen, aber von
Gesetzen geregelt.
Da das Kunstwerk ein Teil der Natur ist, indem es im Evolutionsprozeß
eines Lebewesens grundlegend ist, entstammt es dem genetisch Überlieferten. Die
projektmäßige bzw. künstlerische Form kann weder eine Revision noch eine
Negation des Genetischen beanspruchen, sondern nur eine Evolution des
Genetischen vorschlagen. Auf der anderen Seite würde allein die physische, ins
technische Werk umgesetzte Geometrie der Naturgegenstände, d.h. eine reine
Kopie, das Werk auf Passivität beschränken. Dies kann jedoch unmöglich
geschehen, denn ein Doppel, d.h. eine „Kopie“, ist unmöglich.
So erhält die künstlerische Form durch ihre Zweckmäßigkeit
Analogie zur wirklichen Gestalt. Sie nimmt eine projektmäßige Gestalt an, ohne
sich von der natürlichen Form zu trennen.
(Ein Beispiel kann die Unterscheidung zwischen Analogie und Ähnlichkeit
verdeutlichen: Ein Stundenglas und eine Armbanduhr haben weder Form bzw.
geometrische Ähnlichkeit noch Funktion gemeinsam, sie haben jedoch denselben
Zweck und wir sagen daher, daß beide Gegenstände analog sind.
Offensichtlich erkennt man nun, daß „Analogie“ und „Ähnlichkeit“
zwei getrennte Wesen sind. Und diese Analogie ist der Inhalt der Kunstformen und
nicht die Ähnlichkeit zur Naturform, was bedeuten würde, den Inhalt der Kunst
auf eine uns von der Unvorsichtigkeit der Vernunft verliehene Täuschung zu gründen).
Der künstlerische Inhalt besteht also in dem Vorschlag einer Gestalt in
Analogieverhältnis zur Finalität der Natur. Und das Besondere an der Kunst ist
es eben, daß sie eine neue synthetische Gestalt mit objektiven analytischen
Teilen einer dem Projekt des Künstlers vorangehenden Gestalt erzeugt und da
diese neue Gestalt analog zu einer wirklichen Gestalt ist, kann sie dieser
scheinbar auch ähneln. Weiter dürfen wir nicht denken, wie Sie gedacht haben,
daß die Finalität der Kunstform sich von der Finalität der Form der
Wirklichkeit trennen kann. Wir dürfen nicht denken, daß die Finalität der
Kunst die Thematik der „Interessen des Geistes“ sei, jenes Geistes, der, um
„einzige Realität“ zu sein, wie Sie sagen, die Form und daher auch die Kunstform
annullieren würde.
Die trügerische „Ähnlichkeit“ erklärt im Übrigen den analogischen
Inhalt der Kunst nicht für ungültig. Man kann die bewegende Effizienz und was
bewegt wird, nicht auf Gegensätze beschränken, einfach nur weil man die Täuschung
der Ähnlichkeit, die unmöglich vermieden werden kann, haßt. In der Gestalt
eines sowohl genetischen als auch künstlerischen Wesens befindet sich tatsächlich
immer etwas, das nur teilweise diesem Wesen gehört, ich sage „teilweise“
und nicht „zufällig“, wie Sie möchten. Wenn man einen Esel besitzt,
besitzt man auch seine Ohren und die Haare seiner Ohren. Damit meine ich, daß
der Esel all seine Teile ist, auch jene, die Sie als zufällig definieren. Es
scheint mir unmöglich, den „Inhalt“ des Esels zu besitzen, d.h. den „reinen“
Esel, einen „aus dem Geiste wiedergeborenen“ Esel (Hegel, Einleitung zur
Ästhetik, Suhrkamp
1999, S. 14). Es scheint mir also nicht möglich, an die „Art“ des
Esels zu denken, ohne an alle Esel zu denken, sodaß die „Idee“ der Eselart
mir einfach als eine Vielfalt von Ideen, jede auf einen wahrhaften Esel bezogen,
erscheint. Mir scheint, daß der Inhalt einer Gestalt all ihre „Zufälle“
sei und daher, was für einen Esel gilt, gilt auch für die Kunst. So ist der
Inhalt des Kunstwerks seine zweckgebundene Gestalt, genau jene Gestalt, die Sie
für zufällig halten, wie die Haare der Ohren des Esels.
Nehmen Sie an, aus unbekannten Gründen werden einige Esel ohne Haare
geboren. Sie werden sofort sagen, daß diese ebenso Esel sind, auch ohne den
Zufall der Haare. Nehmen Sie dann an, daß auch Tiere ohne Ohren geboren werden
und Sie werden mir sagen, daß diese ebenfalls Esel sind. Nehmen Sie an, daß
Tiere mit Hörnern, mit sechs Beinen, mit zwei Schwänzen geboren werden, dann hätten
Sie wohl Schwierigkeit zuzugeben, daß diese ebenso Esel sind. Hätte dann ein
Tier nicht alle „Zufälle“ eines Esels, sondern andere, müßten Sie ein
neues Wort zur Bezeichnung des „wesentlichen“ Inhalts des neuen Tieres prägen
und implizit zugeben, seinen Inhaltsbegriff, d.h. den Begriff der „Eselart“
von den „Zufällen“ abhängig gemacht zu haben, die gewisse Tiere aufgrund
der Analogie mit anderen gemeinsam haben. Sie geben somit auch zu, und dies
ist sehr schwerwiegend für Sie, daß der Inhalt nicht existiert, aber wenn er
existiert, identifiziert er sich mit den zu einem persönlichen Projekt finalisierten
Zufällen und in dieser Finalität ist für einen Esel und für jedes
Lebewesen, das Haare hat, auch das
letzte Haar wesentlich, denn auch ein Haar ist wie ein anderer Teil, wie die
Leber, das Gehirn oder andere Teile. Und da es wohl richtig ist, daß ich Sie
bedränge, wie Sie mich bedrängt haben, wiederhole ich: Wenn sich die Idee von
Kunstwerk auf den Inhalt des Kunstwerks bezieht, so wie sich die Idee von Esel
auf den Inhalt des Esels bezieht und der Inhalt des Esels, wie es offensichtlich
ist, dieselbe zweckgebundene Gestalt des Esels ist, ist der Inhalt des
Kunstwerks seine eigene zweckgebundene Gestalt (und eine nicht zweckgebundene
Gestalt kann nicht sein), die Sie hingegen als „zufällig“ definieren. So
die abstrakte Idee des Esels. Die metaphysische Idee, die Idee der „Art“,
die nach Platon jeglichem Esel vorausgeht und die Sie als wahrhafte Substanz
gegenüber der „Gemeinheit“ der „Zufälle“
betrachten und abgesehen von den „Zufällen“ gegeben ist, gut, diese Idee
existiert nicht und wir können im Stall auch keinen solchen Esel ohne seine
wesentlichen Zufälle besitzen. Auch die reine Kunst, d.h. ohne den „Ballast“
der Zufälle, existiert also nicht, es existieren nur Gegenstände, die formgemäß
mehr oder weniger vollkommen, besser gesagt formgemäß ihrem Zweck angemessen
sind. Die metaphysische Idee von Gegenstand scheint mir ein Hinweis auf die
projektmäßige Verwendung der Zufälle eines Gegenstandes zu sein. Unsere
Planungsfähigkeit denkt und bezeichnet am Gegenstand als „zufällig“, was für
unnötig gehalten wird und bezeichnet als substantiell, was für nötig gehalten
wird. Aber diese Bezeichnungen betreffen die Funktionen, die wir den Gegenständen
beimessen und sind keine Eigenschaften der Gegenstände, obschon die Gegenstände
unsere Bezeichnungen zulassen. Und nun scheint mir die metaphysische Idee von
„Kunst“ in Wirklichkeit auf den Gegenstand bezogen, wenn er unserem Projekt
und nicht der metaphysischen „reinen Substanz“ der künstlerischen „Art“
angemessen ist. So erscheint mir die „reine“ Kunst als das Produkt eines Glücksspiels,
denn die Konstruktion des „metaphysischen“ Begriffes der Kunst erfordert
ebenfalls das „zufälligste“ der formellen Zeichen, aus denen der künstlerische
Gegenstand zusammengesetzt ist, so wie für den metaphysischen Begriff des Esels
auch das letzte Haar eines wahrhaften Esels erforderlich ist.
Lieber Herr Professor, auch die Idee des „Seins“ ist von einem wahren
Wesen abgeleitet, d.h. von seinen „Zufällen“, folglich von seinem von Ihnen
so geschmähten „Fleisch“.
Schon Parmenides hatte eine Definition des Begriffes des „Seins“
versucht und mußte es zuerst auf die „Eins“ einschränken, aber wie ihm
Platon antwortete, ist die Einheit eines wirklichen Wesens unmöglich, denn man
müßte aus der Wirklichkeit seine „Teile“ ausschließen, die eine Vielzahl
sind und eine Vielzahl kann keine „Eins“, d.h. die Einheit des „Seins“
bilden und daher ist kein Sein unter dem Begriff möglich, daß es nicht von
seinen Teilen, d.h. von seinen Zufällen abgeleitet sei.
Aber die außergewöhnliche Tatsache ist es, daß Sie nach mehr als
zweitausend Jahren die Wahrheit nicht gesucht und sich darauf beschränkt haben,
die Denker des „Daseins“ nachzuäffen.
Wenn man die Form wegnimmt, sehe ich Ihren so genannten Inhalt
verschwinden, nimmt man aber die „Zufälle“ weg, gibt es kein „Sein“.
Zwischen der Form der Wirklichkeit, d.h. zwischen der „zufälligen“ Form und
ihrer „substantiellen“ künstlerischen Darstellung gibt es in der Tat nur
unsere projektmäßige Verwendung der Zufälle.
Schließlich bleibt zwischen den Gegenständen und der Idee ihrer
Substanz nichts anderes übrig, als nur die Verwendung, die wir von den „Zufällen“
machen. Was wirklich ist, sowohl in der Kunst als auch in der genetischen Natur
ist infolgedessen nur die Form, die Sie als „zeitliche Zufälligkeit“ (Hegel,
ibidem, S. 127) bezeichnen. Der wahre Inhalt ist also der, den Sie „Zufälligkeit“
nennen und der Ihnen gemäß im Gegensatz zum idealen Inhalt stünde, was mir
hingegen als eine schlichte Verblendung erscheint. Kürzlich gab der Semiologe
Umberto Eco, der sich leidenschaftlich mit den Problemen der Erkenntnis befaßt,
die Schwierigkeit zu, die „Art“ eines „seltsamen“ Tieres, „Schnabeltier“
genannt, zu definieren. Diese Schwierigkeit ist eben auf den idealistischen
Fehler zurückzuführen, wonach das Wirkliche als zufällig und auf das Ideale
folgend gedacht ist. Die Klassifizierung des neuen Tieres laut den schon
erworbenen Kenntnissen über andere Tiere könnte auch unmöglich sein, was eine
neue Klassifizierung erfordern würde und dies weil die ideale Klassifizierung
auf das wirkliche Tier folgt, wie wir bereits für den Esel gesagt haben.
All dieser „reine“ Kram sollte aus unserer Sprache verschwinden. Was
wir als „Sein“ bezeichnen, ist nur physisch bestimmt und „unrein“ nicht unter „Art“, sondern einzig und
unwiederholbar.
Die so genannten absoluten bzw. ideell „reinen“ Werte scheinen mir
ein konventioneller Ausdruck zu sein, der der praktischen Vermittlung von nicht
absoluten und wirklich „unreinen“ Werten dient.
Greife man nicht auf die konventionelle Fiktion der Existenz eines reinen
Punktes zurück und sollte man einen Bleistiftstrich auf dem Petersplatz
anbringen, so müßte man auf jeden Fall den Standort des Bleistiftstriches
genau angeben. Aber der Standort des wirklichen Bleistiftstriches auf dem
Petersplatz ist nur dann möglich, wenn man diesem Ort per Fiktion einen reinen
Punkt entsprechen läßt. Aber auch ein wirklicher Bleistiftstrich ist in viele
wirkliche Striche teilbar und welcher dieser Striche der ausgewählte ist,
befreit nicht von einer weiteren Präzisierung eines Punktes der viele, aus
denen jener Strich zusammengesetzt ist. So fordert der wirkliche Standort die
Fiktion des reinen Punktes, der, wie man wohl weiß,
„unrein“, d.h. wirklich ist.
Die Wirklichkeit dieses Nichtexistenten besteht in der Existenz seiner
Fiktion. Die wirkliche Form ist bis ins Unendliche teilbar, aber der reine Punkt
fordert seine Unteilbarkeit. So ist auch der reine Punkt nach dieser Anschauung
jener „Gegensatz“ zum unreinen Punkt, der dadurch, daß er dem Seienden
entgegengesetzt ist, nicht existiert, mit Vorbehalt des Namens, der ihm den
Schein der Existenz verleiht.
Sie werden sich fragen, warum der Geist diese Fiktion benötigt, um die
objektive physische Realität zu vermitteln und meiner Meinung nach könnten Sie
sich die Antwort selbst geben, daß wir, obwohl von der Teilbarkeit des Realen
bis ins Unendliche bewußt, seine Teile zu unteilbaren Wesen erheben, denn
unteilbar ist ihre Verwendung. Und für uns zählt an der Realität das, was wir
aus der Realität projektmäßig machen. Die projektmäßige Idee ist analogisch
gesehen wie die Lüge, die die Braut ihrer Mutter auftischt, wenn sie ihr den
Verlobten als einen reinen und frommen Jungen vorstellt, während sie ganz genau
weiß, daß er ein rücksichtsloser Frauenheld ist, aber sie muß ihr Ziel
erreichen. Auch die Mutter kennt die Wahrheit, akzeptiert jedoch den Bräutigam
ihrer Tochter, die zwar einen unreinen Ehemann, aber immerhin einen Ehemann
haben wird. So ist die reine oder metaphysische Idee die Darstellung des
projektmäßigen Nutzens dessen, was unrein und physisch ist.
Die Idee des Gegenstandes transzendiert den
physischen Gegenstand, um ihn dem projektmäßigen Nutzen anzupassen, sie kommt
aber nicht vor, wie jeder gute Idealist denkt, sondern nach dem transzendierten
Gegenstand und trügt ihn nicht, sondern stellt ihn objektiv dar. Was die Braut
macht, um wirklich zu heiraten, machen wir alle: Um uns selbst akzeptieren zu können,
denken wir an uns und stellen uns selbst mit einer Idee dar, die uns überragt.
Indem ich an mich denke, werde ich, wie Sie sagen würden, von meinen „Zufällen
gereinigt“, andernfalls würde ich mich in ihrem unendlichen Labyrinth
verlieren. Meine Identität ist die transzendente Darstellung meiner selbst. Mir
aber liegt es daran, Ihnen Folgendes zu sagen: Meine Identität ist nicht
erhabener oder edler als mein „Fleisch“, wie Sie behaupten. Mit Ihren Worten
müßte ich sagen, daß die Idee, die mich transzendiert, wesentlich gemeiner
als mein Körper ist, denn sie ist die Dienerin ihres Herrn, der ich bin, in
meiner Unreinheit, Teilbarkeit, Vergänglichkeit. Aber von meinem Standpunkt her
erhebt sich mein Körper nicht über die Idee, die ich von meinem Körper habe
und das projektmäßige Gedächtnis, welches ich von mir selbst habe, entspricht
dem, was Sie „Geist“ nennen. Dieses Gedächtnis ist mich selbst, finalisiert
wie die Lüge der Braut.
Und Sie beharren weiter auf der Reinheit. Sie lassen das reine Sein und
das reine Nichts gleich, aber auch entgegengesetzt sein. Spielen Sie etwa mit
den Worten? Sie sagen auch, daß wenn „wir uns durch die Vernunft über das
Zeitliche erheben, so läßt man dies ganz unbeschadet des Endlichen geschehen“
(Hegel, Wissenschaft der Logik, Suhrkamp 1996, S. 150).
Ist aber unsere Erhebung über das Zeitliche nicht etwa der Auffassung
des zeitlich Endlichen in einem niedrigsten Zustand gleich? Warum erfinden Sie
die Gegensätze, um sie dann in der Wirklichkeit zu annullieren, als ob die
Wirklichkeit auf die Gegensätze folgen würde, d.h. als ob die Gegensätze die
Ursache der Wirklichkeit wären? Und da eine Sache nicht gleichzeitig eine
andere „sein“ kann, so ergibt sich daraus, daß die „Gegensätze“, die
Sie als solche gleichzeitig betrachten, sich dann nicht miteinander vereinbaren
können, ohne aufgehoben zu werden. Nur weil sie als unterschiedlich und nicht
als gegensätzlich am gleichen finalistischen Projekt teilhaben, bilden sie das
„Dasein“, andernfalls gäbe es kein „Dasein“.
Mir scheint, daß der Gegensatz in der Vereinbarung seine Identität
verliert und somit, in dem „anderen“ erloschen, auch die Kraft, die projektmäßige
und gemeinschaftliche Einheit des „Daseins“ zu bilden. Die Einheit des „Daseins“
besteht aufgrund der Finalität und daher sollen die Gegensätze in der
gemeinsamen Finalität nur unterschiedlich sein. Mir scheint, daß die
ganze Welt eine Gemeinschaft von „Unterschiedlichen“ mit einem einzigen Ziel
ist.[1]
[1] Anmerkung Nr. 1 – Brief an Platon
Die zu „vereinbarenden“ Gegensätze scheinen mir nur Marionetten zu
sein. Equilibristen, die anhand
Ihrer Lehre die Existenz ableugnen, werden heutzutage Philosophen genannt. Sie
leugnen dieses „Dasein“, das streng genommen nach Ihrer Logik nichts ist,
wenn es aufgrund der Vereinbarung des reinen Seins und des reinen Nichts, die
Sie als identisch mit nichts voraussetzen, besteht. „Das reine Sein und das
reine Nichts ist also dasselbe“, sagen Sie, und wenn in der „Vereinbarung“und
im „Übergang“ des einen ins andere „jedes in seinem Gegenteil
verschwindet“ (Hegel, ibidem, S. 83), lassen beide beim
Verschwinden das „Dasein“ nicht auftauchen, sondern lassen im Nichts
verschwinden, was schon als Nichts erschienen war. Wenn das Sein übergeht (und
verzeihen Sie mir, wenn ich nicht verstehe, was „übergehen“ bedeutet, ich
gebe jedoch vor, es zu verstehen), wenn das Sein also ins Nichts übergeht, wird
es, scheint mir, ein Nichts. Und so, indem das eine in das andere übergeht,
erreichen sie nichts anderes, als sich höchstens ins andere zu verwandeln und
alles wie zuvor zu lassen. Aber was ist, ist und geht nicht über. Sie hatten
Phantasie zum Verschenken, aber ich glaube nicht, daß es von Vorteil ist, davon
Gebrauch zu machen.
Verzeihen Sie mir diese Rüge, aber ich schreibe Ihnen als Maler
endlicher und daher konkreter Dinge. Ich schreibe Ihnen, denn ich will Ihnen
mitteilen, was die wissenschaftliche Forschung zu Ihrer Zeit noch nicht entdeckt
hatte. Heutzutage liefern die Neurowissenschaften den Beweis, daß Ihr ästhetisches
Schloß in Trümmern liegt und die Prophezeiung des Todes der Kunst sich nicht
bewahrheitet hat…
Man hat nämlich entdeckt, daß nur die „endliche“
Erfahrung wirklich ist und daß sich die metaphysische Vorstellung der
Unendlichkeit auf die empirische Erfahrung beschränkt.
Man muß wohl zugeben, daß Sie von Immanuel Kant fasziniert wurden.
Sie halten für erforderlich, nach Kants Worten, „die ersten
Grundlagen der Fähigkeit der von der Erfahrung unabhängigen Prinzipien zu
entdecken“ (Immanuel Kant, Kritik der Urteilskraft, Laterza 1984,
S. 5), die Sie
folgendermaßen definieren: „Absolutheit der Vernunft in sich selbst,
welche den Wendepunkt der Philosophie in der neueren Zeit herbeigeführt hat,
dieser absolute Ausgangspunkt ist anzuerkennen und an ihr (an der Kantischen
Philosophie) nicht zu widerlegen“ (Hegel, Vorlesungen über die Ästhetik,
Suhrkamp 1999, S. 84). Trotzdem geben Sie im Gegensatz zu Kant zu, daß es möglich
ist, das Schöne in dem Begriff zu erfassen. Sie
stellten sich die Form der Natur als zufällig vor oder als eine „rein
sinnliche Auffassung“ (Hegel, ibidem, S.
57) oder auch als „eine nur täuschende äußere Gegenwart“ (Hegel, ibidem,
S. 72). Die endlichen Dinge durften für Sie
nicht real, sondern nur ein Schein sein, der als „bloße Hülle“ gesetzt
ist (Hegel, ibidem, S. 77).
Mit Umsicht wechseln Sie jedoch in ihrer Abhandlung beide Gesichtspunkte
ab. Ich war Zeuge einer Auseinandersetzung zwischen zwei Ihrer Anhänger.
Einer sagte, Sie schlügen den Reifen, um das Faß zu modellieren und der
andere war der Meinung, sie schlügen das Faß, um den Reifen einzupassen.
Zuerst geben Sie nämlich zu, daß „der Geist nur in seinem Leibe in genügender
Art sinnlich erscheint“ (Hegel, ibidem, S. 110) und daß das
Geistige und das Sinnliche „im künstlerischen Produzieren eins sein müssen“
(Hegel, ibidem, S. 62). Weiter behaupten Sie jedoch, daß der Körper in
der künstlerischen Darstellung „aller Bedürftigkeit des nur Sinnlichen
und der zufälligen Endlichkeit des Erscheinens entnommen sein muß. Ist
in dieser Weise die Gestalt gereinigt, um den ihr gemäßen Inhalt in sich
auszudrücken… “ (Hegel, ibidem, S. 110).
Daß Sie nun um den heißen Brei herumreden, hat‘s nur zum Zweck,
gleichzeitig auf zwei Hochzeiten zu tanzen, auch wenn Sie das weniger passende
Fest bevorzugen. Aus diesem Grunde streiten Ihre Anhänger auch heute noch und
vielleicht auch noch weiterhin in der Zukunft, im ständigen Versuch zu klären,
ob Sie ehrlich waren. Alle zwei Zeilen schreiben Sie, daß die Kunst, da sie den
Geist zu ihrem eigentlichen Gegenstand hat, „die Anschauung desselben nicht
durch die besonderen Naturgegenstände als solche, durch Sonne z. B., Mond, Erde,
Gestirne usw. zu geben vermag. Dergleichen sind freilich sinnliche Existenzen,
aber vereinzelte, welche für sich
genommen die Anschauung des Geistigen nicht gewähren“ (Hegel, ibidem,
S. 140).
Jede zweite Zeile Ihrer Abhandlung findet man den „Kampf des Geistes
gegen das Fleisch“ (Hegel, ibidem, S. 80), den Willen, der „seinen
direkten Gegensatz an der Natur, den sinnlichen Trieben hat“ (Hegel, ibidem,
S. 79).
Und Ihre Botschaft wird am Ende folgendermaßen mitgeteilt: „Man
kann wohl hoffen, daß die Kunst immer mehr steigen und sich vollenden werde,
aber ihre Form hat aufgehört, das höchste Bedürfnis des Geistes zu sein“ (Hegel,
ibidem, S. 142).
Herr Professor Hegel, Ihnen wurde Gehör geschenkt. Die Form der Kunst
wurde in Form von Scheiße in Dosen perfektioniert, d.h. von „mèrde
d’artiste“, in französischer Sprache, denn das hört sich immer „nobel“
an.
Ihr Philosophieren, lieber Herr Professor, rief ganze Generationen von
kleinen Historikern, kleinen Ästheten, dem Plagiat und der Kopie ergebenen
Denkern sowie von kleinen Künstlern mit sozialpolitischen Ambitionen ins Leben,
alle Anhänger ihrer Schulen, welche mal als
links- und mal als rechtsgerichtet bezeichnet sind, sich aber voneinander nur an
den Tuchlappen unterscheiden, womit sie ihre Scham verdecken.
Aber heutzutage zwingen die Neurowissenschaften Ihre Schulen, Sie selbst,
Ihren Meister und den Meister der modernen Meister in die Knie. Ich spiele hier
auf Descartes an, der für die Existenz bürgt, weil sie gedacht ist. Heute ist
es wissenschaftlich erwiesen, daß „das Gehirn Gegenstände benötigt, um zu
denken, so wie die Augen, um zu sehen“ (Changeux, Ragione e Piacere,
Cortina 1995, S. 112). Obwohl Descartes selbst
seine Überlegung dazu äußert, indem er sagt: „in der Aussage ich denke,
also bin ich ist absolut nichts, was mir diese Wahrheit garantiert, als nur,
daß es mir deutlicher ist, daß man sein muß, um zu denken“ (Descartes,
Versuch über die Methode, Mondadori 1993, S. 32), behauptet die so
genannte moderne Welt, die Wirklichkeit sei nicht vor deren Denken, sondern sei
es vielmehr Garantie der Wirklichkeit, derer zu denken gemäß der
interpretierten Aussage von Descartes und der nachfolgenden Theorie Kants der
apriorischen Erkenntnisse. Und dazu der so genannte, heute modische „schwache
Gedanke“ bezweifelt die Existenz der Wirklichkeit, denn das Denken an sie gewährleistet
sie nur auf subjektive Weise. Auch Sie, Herr Professor, stimmten zur höheren
Sicherheit der modernen Welt mit Descartes und Kant überein mit den Worten, daß
„das Wirkliche vernünftig und das Vernünftige wirklich ist“. Heute können
die Forschungen über das Encephalos den Philosophen helfen. Man hat
festgestellt, daß nur das physische Wirkliche die Idee des Wirklichen bilden
kann, wie bereits gesagt. Und doch ist das zentrale Nervensystem eine
programmierte Organisation gemäß einem Bedürfnis, das seinem rationalen Bewußtsein
voransteht. Die Erhaltung des Lebens ist ein Bedürfnis, das für alle Wesen vor
dem encephalischen Bewußtsein der Erhaltung steht. Und tatsächlich besitzen
dieses Bedürfnis auch Organismen ohne Encephalos, also ohne Vernunft. Daher muß
das kartesianische „cogito“ immer mehr vom „Sein“ gewährleistet werden.
Denn es steht fest, daß man sein kann, ohne zu denken, zu sein. Die
moderne Welt hingegen hat das Sein darauf beschränkt, nicht sein zu dürfen, da
sie die Vernunft dem Sein voranstellt.
Es ist wahr, daß wir uns Menschen mit Flügeln vorstellen können.
Die Existenz der Menschen und der Flügel ist jedoch wirklich. Die
grundlegenden und analytischen
Elemente dieses Gegenstandes des Gedankens stehen in einer Analogiebeziehung zur
genetischen Wirklichkeit, obgleich der Gegenstand ihrer Synthese überhaupt
nicht genetisch sei.
Das Kunstwerk stellt eine vernünftige, wenn auch unwirkliche Gestalt
dar. Ihre Schüler sowie die Plagiatoren in ihrer Eigenschaft als neuhegelsche
Philosophen blamieren Sie im höchsten Grade, wie Sie eben verdienen, indem sie
Ihre Aussage („Das Vernünftige ist wirklich“) wörtlich nehmen und
behaupten, daß die Kunst unvernünftig ist. Aber die Kunst wäre nur dann
unvernünftig, wenn sie keine Analogiebeziehung zur bestehenden Wirklichkeit hätte,
wie es von den modernen Informalisten vertreten ist, also von Ihren guten Schülern,
die, vom Wirklichen als Vernünftigen und vom Vernünftigen als Wirklichen schwärmend,
glauben, daß die Kunst, da sie unwirklich ist, auch unvernünftig sei, womit
wohl die Unbesonnenheit ihres Denkens bewiesen ist.
Es entspricht der Wahrheit, daß das Wirkliche vernünftig ist, aber
nicht immer ist das Vernünftige wirklich. Jedes künstlerische Projekt ist nämlich
vernünftig und doch unwirklich. Daher kann ich sagen, daß ich denke, weil ich
bin und nicht umgekehrt, obwohl sich alle dieser
Wahrheit schon bewußt waren, auch bevor man die Ergebnisse der
Neurowissenschaften kannte. Heute ist die „rein sinnliche Auffassung“
(Hegel, Vorlesungen über die Ästhetik, Suhrkamp 1999, S.
57) Unsinn, denn das Wirkliche zu denken und das Wirkliche sinnlich aufzufassen
sind ein und dieselbe Sache. Man entdeckt auch gerade, daß die Sinne die Fähigkeit
besitzen, mit Intelligenz auszuwählen, ohne dabei auf das encephalische Denken
zurückzugreifen. Da die Zweckmäßigkeit der künstlerischen Form eine
sinnliche Analogiebeziehung zur Zweckmäßigkeit der vorhandenen genetischen
Form besitzt, so wird sie in ihrem genetischen Wert von der Zweckmäßigkeit der
vorhandenen genetischen Form gewährleistet.
Das Lebewesen ist also die Verkörperung seines künstlerischen Projekts,
dessen Effizienz als zeitweiligen Besitz aufgrund des Bedürfnisses nach
genetischer Effizienz erteilt wird.
Es wäre wohl eine Anmaßung, Ihnen den Unterschied zwischen Eigentum und
Besitz eines Gutes zu erklären. Sie wissen besser als ich, daß für den Besitz
das Eigentum nicht unbedingt notwendig ist. Wenn ich also das Bedürfnis nach
meinem künstlerischen Projekt besitze, bin ich nicht dessen Eigentümer. Jedes
Bedürfnis, das meines ist, weil ich es besitze, kann mir also entzogen werden.
Daher glaube ich nicht, daß Sie sich entrüsten, wenn ich behaupte, daß ich
nicht der Eigentümer meiner selbst bin, wohingegen Sie meine Worte, daß mein
Fleisch und mein Geist dasselbe sind, sicherlich aufs Äußerste mißbilligen.
Ich schreibe Ihnen eben darum, um Ihnen es mit der Unterstützung von Scharen
von Wissenschaftlern zu sagen, die, glauben Sie mir, in jeder Hinsicht
Philosophen sind. Die Kunst ist das Erzeugnis der Art, die sich selbst aufgrund
ihres Bedürfnisses organisiert. Sie sagen, „alles Geistige ist besser als
jedes Naturprodukt“ (Hegel, ibidem, S. 49). Jedes Naturwesen
besitzt jedoch eine zweckgebundene, auf seine persönliche Form bezogene
Funktionalität, wie man leicht sehen kann. Daher muß die Form der Natur die
Form ihrer Zweckmäßigkeit, d.h. ihre künstlerische bzw. geistige Form sein.
Daraus folgt, daß die Zweckmäßigkeit, jede auch historisch unmoralische
Zweckmäßigkeit, geistig ist, also sind die Form der Natur und der Geist der
Natur dasselbe Wesen und der Beweggrund der Effizienz dieses Wesens kann als
Gott oder Primärbedürfnis der Existenz bezeichnet werden. Mir scheint zu
verstehen, daß Sie unter „geistig“ meinen, was „moralisch“ ist. Mir
scheint auch zu verstehen, daß Ihr „absoluter Geist“ nichts anderes als
absolutes Wohl der historisch vereinten Menschen sei. Aber es scheint mir, daß
der „Geist“ das einfache Planen der gesamten Materie sei und daß das
Projekt eines Wesens als moralisch oder unmoralisch zu definieren sei, wenn es
der Gesellschaft der Individuen, die die Regeln des eigenen Überlebens
vorschreibt, nützlich oder unnützlich ist. Brot und Fische zu vermehren, um
eine Menschenmenge zu ernähren, ist höchst moralisch und hat als Beweggrund
eine große Menschenliebe. Aber den Fischen erscheint diese Vermehrung ihres
Todes als eine unheimliche Aggression der Menschen. Die Menschen ihrerseits
halten die Pest für eine unheimliche Aggression. Die Flüche der Menschen gegen
Gott wegen des Übels, das andere Wesen den Menschen zufügen, sind darauf zurückzuführen,
daß sie, genauso wie Sie, den „Geist“ mit der Moral der Menschen
verwechselt haben. Gott kann weder verflucht noch angebetet werden, denn er ist
das projektmäßige Bedürfnis aller Wesen, einschließlich jener, die die
Menschen zerstören.
Herr Professor, moderne
Erforschungen sagen uns, daß „das Äußerliche der Gestalt“ (Hegel, ibidem,
S. 102) nicht existiert.
Denn unser Geist ist unser eigener zweckgebundener Körper mit keinen Außen-,
sondern nur Innenseiten und Inhalt seiner selbst, daher „rührt die
Mangelhaftigkeit der Form“ nicht „von der Mangelhaftigkeit des
Inhalts her“ (Hegel, ibidem, S. 105). Sondern von sich selbst, wenn
sie an sich selbst mangelt.
Die Kunst reinigt die Form des Sinnlichen nicht, da das Sinnliche selbst
Kunst ist. Die Kunst eines Künstlers ist nur ein Teil der genetischen Kunst und
sie personalisiert sich durch eine auf einen persönlichen Zweck finalisierte
Wahl. Nur auf diese Weise ist die
Kunst persönlich, auch wenn sie universell ist. Die Kunst ist die Endlichkeit
der Unendlichkeit. So kann es in der Natur nichts anderes geben als nur totale
Reinheit und substantielle Form und nie „bloßen Schein“ (Hegel, ibidem,
S. 22).
Die genetische Form, d. h. die Form der Natur, ist ihr eigener Geist, der
sich seit Milliarden von Jahren auf einen Zweck hin verarbeitet. Ich wiederhole
mich nun und sage, die Form der Natur sei meiner Meinung nach das abschließende,
wenn auch nicht das letzte künstlerische Meisterwerk der genetischen Natur und
die Kunst eines einzelnen Künstlers sei ein Teil der Form der Natur, die vom Künstler
als genetischen Individuum finalisiert wird. Und daher kann es keine genetische
noch künstlerische Form geben, die ihrem Inhalt unangemessen ist. Eine Ihrer
Thesen beteuert, daß es „eine unvollkommene Kunst“ geben kann,
„die in technischer und sonstiger Hinsicht in ihrer bestimmten Sphäre ganz
vollendet sein kann, doch dem Begriff der Kunst selbst und dem Ideal gegenüber
als mangelhaft erscheint“ (Hegel, ibidem, S. 106). Wollen Sie
behaupten, daß es eine formell vollendete Kunst geben kann, d.h. eine in ihrer
künstlerischen Sphäre vollkommene, den künstlerischen Inhalten gegenüber
jedoch mangelhafte Kunst, wonach sie also unvollkommen wäre? Sozusagen eine
vollkommene und doch unvollkommene Kunst, was mir erbärmlich scheint.
Bei jedem Anlaß sagen Sie, daß es im künstlerischen Fortgang zwei
Wege gibt, die von demselben Fahrzeug befahren werden, und zwar einen formellen
und zufälligen, wie Sie sagen und einen geistigen. Aber wann und wie diese
beiden Wege sich kreuzen, damit das Fahrzeug den Weg der wahren Kunst befährt,
das sagen Sie nicht und mehr konnten Sie darüber nicht sagen, denn wenn Sie
sich mit diesem Problem tiefer befaßt hätten, hätten Sie den Widerspruch: „Das
Endliche verschwindet“ etc. etc. lösen müssen, wonach die Natur als unmächtig
zu „sein“ dargestellt wird und, wie Sie sagen, auf die Äußerlichkeit
angewiesen ist. Ihrem Vorschlag gemäß haben meine Zeitgenossen diese Äußerlichkeit
aus der Kunst verjagt und wie man sehen kann, ist nichts geblieben. Und dies ist
darauf zurückzuführen, daß die Äußerlichkeit nicht äußerlich, sondern
ganz innerlich ist und daß es nur einen Weg gibt.
Ihnen, lieber Herr Professor, ist wirklich ein großes Versehen
unterlaufen. Sie haben sich von einem imaginären Geist blenden lassen. Es war
Ihnen nicht vergönnt zu denken, daß jede Form der Natur einzig und
unwiederholbar ist und uns daher, wie das Experiment Moruzzis beweist, für sich
die Vorstellung von sich selbst vorgibt. Die Unwiederholbarkeit einer Form
erhebt sie zu „Substanz“, sodaß, wie es in der Wirklichkeit ist und man
gesehen hat, sie gedacht und
rationalisiert wird. Und was die Formen der Natur zum alleinigen und
universellen Wert führt, ist ihre übereinstimmende Zweckmäßigkeit. Ihre
Freiheit ermöglicht ihnen die Wahl eines persönlichen Wegs zu einem
gemeinsamen Ziel. Die Freiheit des Künstlers ermöglicht auf diese Weise eine
formelle Entscheidung für sein Werk, das zu jenem im Einklang mit dem
genetischen Zweck stehenden Ziel konvergiert. Und je mehr seine formelle
Entscheidung seinem Zweck angepaßt ist, desto schöner ist sein Werk. Wenn aber
eine Kunstform einen widersprüchlichen und nicht eindeutigen Zweck hat, ist
also ihrer Vollkommenheit zu diesem Zweck, folglich ihrer Schönheit eine Grenze
gesetzt.
So sind ein Gemälde, ein Haus, ein Paar Schuhe,
ein Vogelnest, ein Bienenstock Teile des Körpers selbst desjenigen, der sie
erzeugt hat. Da jedoch die Schönheit der formellen Vollkommenheit in Bezug auf
einen eindeutigen Zweck angemessen ist, ist sie an kein moralisches Gut einer
geschichtlichen Epoche gebunden. Gestatten Sie mir, Herr Professor, die Moral
einer historischen Gruppe von der Ethik der Art zu unterscheiden. Wenn das Gen
die persönlichen und historischen Erfahrungen der Gruppe als nutzlos für die
Art erachtet, löscht es sie aus. Was Sie „absoluten Geist“ nennen, könnte
sogar ein historischer abzustoßender Fehler sein. Gestatten Sie mir also,
anderer Meinung zu sein und zu sagen, daß das künstlerische Wirken ein
Entwicklungsprozeß hat. Es entwickelt das Individuum genetisch, auch wenn es
das Individuum und seine historische Gruppe moralisch verschlechtern sollte.
Das Kunstwerk hat eine Bestimmung, die über die Zeit der historischen
Moral hinaus geht, in der es erzeugt wird. Das Kunstwerk fördert, auch wenn es
aufgrund seiner Thematik negativ ist, die Anpassungsfähigkeiten an die Umwelt,
es entwickelt das Individuum und seine Umwelt. Künstlerisch ist in dieser
Hinsicht sowohl die genetische Form eines Individuums, als auch die von ihm
aufgrund der Notwendigkeit, ein genetisches Individuum zu sein,
erzeugte Form. Platon nahm an, das Schöne sei auch gut, also gab auch
Platon zu, daß das Schöne nicht unbedingt gut ist:: „Nicht gering wird
der Vorteil sein, wenn die Poesie nicht nur süß und lieblich, sondern auch nützlich
erscheinen wird“ (Platon, Politeia X, Rizzoli 1953, S. 438,). Es
ist klar, daß sich in einem Werk, das historisch unmoralische Verhaltensweisen
preist, das moralische Gute nicht befinden kann. Aber die Schönheit eines
Kunstwerkes ist die einfache Vollkommenheit seiner Form, die wohl auf einen
Zweck ausgerichtet ist, jedoch nicht in der moralischen Güte bzw. Nützlichkeit
des Zwecks selbst liegt. Ich kann Ihnen hier ein banales Beispiel nennen: Zwei
Athleten kämpfen um den Sieg in einem Wettlauf. Wenn einer der beiden auf
halbem Wege beginnt, über das Mysterium der Heiligen Dreifaltigkeit
nachzudenken und dabei die Koordination seiner Bewegungen verliert, ist das im
Hinblick auf die religiöse Problematik nichts Schlechtes,
also handelt er gut und was er hinsichtlich der religiösen Problematik
macht, ist gut. Er handelt aber schlecht und dies ist nicht gut, um den
Wettkampf zu gewinnen. So kann man also leicht sagen, daß der erste Athlet den
Wettkampf gewonnen hat, weil er alle Formen seiner Energie dem Zweck gemäß
perfekt koordiniert und eine für einen eindeutigen Zweck perfekte Form
realisiert hat. Im Vergleich zum anderen Athleten hat er eine künstlerische
Form geschaffen. Während er läuft, kann der Athlet etwa eine dem Problem der
Heiligen Dreifaltigkeit angemessene und gleichzeitig eine dem Sieg des Wettlaufs
unangemessene künstlerische Form erzeugen. Auf jeden Fall ist aber der Wert der
beiden Formen auf ihre formelle Perfektion bezogen, die im Endprodukt und nicht
in der Nützlichkeit des Endproduktes zum Ausdruck kommt, andernfalls würde der
Athlet, der den Wettkampf verliert, nachdem er mit seinem Denken an die
Dreifaltigkeit Gottes ein höheres Gut als den Wettkampfsieg erzeugt hat, den
Wettkampf gewinnen, indem er ihn verliert. Aber die Kunst, einen Kampf zu
gewinnen, ist nicht die Kunst, das Mysterium der Dreifaltigkeit Gottes zu lösen.
Sie hingegen glauben, daß es eine perfekte Form mit unzureichendem künstlerischen
Inhalt geben kann. So als ob Sie glauben würden, daß der Athlet, der den
Wettkampf verliert, weil er ein höheres geistiges Gut erzeugt hat, indem er an
die Dreifaltigkeit Gottes dachte, substantiell besser laufe als der
Athlet, der gewinnt. Sie glauben nicht, das Kunstwerk sei seine eigene Form.
Aber wer gewinnt, läuft besser, da er schneller läuft. Er hat eine quantitativ
höhere, auf den Zweck abgezielte Form erzeugt als der Verlierer. Die
zweckgebundene ausgeführte Quantität bestimmt die Qualität des Ergebnisses.
So ist der künstlerische Gegenstand von der höheren oder geringeren Menge an
zweckgebundener Form bestimmt und dies sträubt Ihnen sicherlich die Haare. Um
noch deutlicher zu werden, muß ich Ihnen ein paar weitere Beispiele anführen.
Ein Gemälde soll einem ästhetischen Urteil unterworfen werden und wir nehmen
an, es sei die Darstellung des Lasters des Zorns. Wenn in diesem Werk Formen
dargestellt sind, die darauf schließen lassen, der Zorn sei ein friedvoller Gemütszustand,
entsteht bei diesem Werk die doppeldeutige Widersprüchlichkeit, die ich bereits
mit dem Fall des Athleten beschrieben habe, der den Wettlauf verlangsamt, um zu
philosophieren und der seinem Lauf mengenmäßig spezifische Form entzieht. Das
ästhetische Urteil fällt also negativ aus, ist hingegen positiv, wenn das
Kunstwerk eine mit seinem Zweck vollkommen übereinstimmende Form besitzt, nämlich
dem Zweck, das Laster des Zorns in einer seinem Zweck angepaßten
Menge an Form darzustellen.
Aber auch die einfache Darstellung einer genetischen Form ohne Thematik
kann in abgestufter Weise je nach dem Grad der Analogie zum Zweck der
genetischen Form vollkommen oder unvollkommen sein: Ein Portrait ohne Thematik
kann Gegenstand künstlerischer Darstellung sein. Wenn das Portrait eines
Gesichtes mit einem anderen Gesicht verwechselt wird, besitzt es eine
unzureichende Menge an zweckgebundener Form, wie jene des Athleten, der
philosophiert, während er um den Wettlauf kämpft. Eine für ihren Zweck
quantitativ unzureichende Form ist in ästhetischer Hinsicht nicht schön. Ein
Kunstwerk kann also schöne Formen aufweisen, aber nicht das Schöne als
„Art“ enthalten. Auch wenn man von der Darstellung der spezifischen
somatischen Zügen eines Individuums ausgeht, hat ein Gesicht in der Darstellung
der genetischen Merkmale einer genetischen Gruppe sein eigenes Subjekt und daher
die Möglichkeit einer darstellenden Perfektion, die nicht an die Darstellung
eines bestimmten Individuums gebunden ist. In dieser konsequenten Analogie und
Anhaftung der darstellenden bzw. künstlerischen Form an die genetische
Form liegt die Schönheit einer künstlerischen Form. Perfektion kann außerdem
in der Darstellung von Gebrauchsgegenständen sein. Diese Perfektion wird stets
in Bezug auf die Analogie ihres Modells und zwar auf den Dienst, den der
Gebrauchsgegenstand erweist, bewertet und da der Gebrauch, d.h. die
zweckgebundene Funktion eines Gebrauchsgegenstands dessen Inhalt ist, steigt er
zum Inhalt der Darstellung empor. So ist die Schönheit auch in der Perfektion
des Gebrauchsgegenstandes selbst und nicht nur in seiner Darstellung zu finden.
Ist die Form eines Gebrauchsgegenstandes in Bezug auf seinen Zweck perfekt, so
ist sie im Vergleich zu einer anderen schön, die ihrem Zweck nicht perfekt
entspricht.
Herr Hegel, ich glaube, aus Ihren Vorlesungen eine erfaßt zu haben, die
mich zwingt, Ihre Doktrin zu stürzen, um mich in der logischen Folgerichtigkeit
beruhigen zu können. Zwei von Ihnen aufgeworfene banale Behauptungen konnte ich
übrigens nicht ertragen. Erstens, die Annullierung durch Einigung von zwei so
genannten Gegenteilen, der Form und des Inhaltes, d.h. der Überwindung des „Kampfes
des Geistes gegen das Fleisch“ (Hegel, Vorlesungen über die Ästhetik,
Suhrkamp 1999, S. 80). Sie schlagen eine Reinigung der „äußerlichen“ Form
vor, als ob diese, mit Geist geschminkt, innerlich werden würde. Sie denken, daß
ein Porträt perfekt gemalt sein kann, ohne den Geist des portraitierten
Gesichtes zu erfassen. Aber wenn ein Porträt den Geist nicht erfaßt, erfaßt
es das Gesicht des Geistes nicht und daher ist dieses Porträt nicht perfekt
gemalt.
Die nicht Sachkundigen halten vielleicht eine auf
der Oberfläche fein geglättete Malerei für gut und denken also genauso wie
Sie, wobei Sie, laut Ihren Aussagen, von Kunst überhaupt keine Ahnung hatten.
Solche Leute denken, das Geglättete sei schwierig auszuführen, und insofern
halten es für künstlerisch.
Auch Platon endet den Dialog des Hippias, in dem das Problem des Schönen
behandelt wird, mit den Worten, das Schöne sei schwierig. Im Gegenteil dachte
Leonardo da Vinci, der von Kunst sicherlich viel verstand, die Kunst sei ein
gemäßigtes Verfahren und eventuelle
Schwierigkeiten, wenn überhaupt vorhanden, dürften im Kunstwerk nicht zu sehen
sein, genauso wenig wie die körperlichen Mühen, die der Künstler bei dessen
Ausführung gelegentlich auf sich nehmen müßte. Michelangelo zerstörte die
Zeichnungen zur Vorbereitung seiner Werke, damit man die Mühe, die er
aufgewandt hatte, um das Kunstwerk schaffen zu können, nie zu sehen bekäme. Hätte
er gedacht, das Schöne sei schwierig, hätte er sich nicht geschämt, sei es
auch aus Unbescheidenheit, Mühen auf sich genommen zu haben, um es zu erreichen.
Was schwierig ist, verursacht nämlich keinen Genuß und daher würde in diesem
Fall der platonische Genießer, falls er aus dem Schwierigen keinen Genuß
erhalten sollte, gegen die Meinung des Meisters denken, das Schöne sei
kinderleicht und gar nicht schwierig. Leicht ist es jedoch sicherlich nicht. Das
Einfache ist nämlich nicht projektmäßig, es ist nicht aktiv, sondern
retroaktiv, sodaß das Schöne mir spontan, aber nicht schwierig erscheint, auch
wenn es nicht einfach ist. Man müßte die Bienen fragen, ob ihr Bienenstock
schwierig zu bauen ist. Die Bienen bauen ihren Bienenstock wie Phidias den
Parthenon: aus Bedürfnis. Was andere, die nicht das gleiche Bedürfnis spüren,
schwierig finden, wird durch das Bedürfnis spontan. Phidias hätte schwierig
gefunden, einen Bienenstock zu bauen. Und nun zurück zu uns, wenn es der Zweck
ist, eine Oberfläche zu glätten, dann ist eine gut geglättete Oberfläche künstlerisch.
Aber die Kunst der Darstellung des Geistes, d.h. der physischen Formen ist nicht
die Kunst, eine Oberfläche zu glätten. Ein nur gut geglättetes Porträt ist
also nicht unbedingt auch gut gemalt. Lieber Herr Professor, ich verstehe Sie:
Zur Zeit ihres sterblichen Lebens, Anfang des 19. Jahrhunderts, blühten
viele kleine Künstler, die wie Sie an das „Geglättete“ glaubten und wie
Sie dachten, die künstlerische Perfektion liege im perfekten „Polieren“ der
Farbpaste. Da Sie jedoch irgendwie ahnten, daß es nicht ganz so war, forderten
Sie daher einen Inhalt, der sich dem Geglätteten entgegenstellte, und den Sie
„technisch in ihrer bestimmten Sphäre vollendete Form“ nannten. Ich
denke, daß Sie sich mit technisch vollendeter Form auf das Geglättete bezogen,
denn ansonsten heißt es, daß Sie leichten Herzens sozusagen das Mehl von
enormen Widersprüchen mahlten, die Sie dann verarbeiteten und als perfekte
Kringel auftischten. Klar ist es auf jeden Fall, daß Ihr Philosophieren über
die Kunst nur ein vergebliches Abmühen
in einem Ihnen unbekannten Gebiet war. Um über ein Handwerk zu sprechen, muß
man dieses Handwerk zumindest ein wenig beherrschen. Ich verwechsle dabei
sicherlich nicht das Handwerk mit der Vortrefflichkeit des Handwerks, denn wie
wohl alle wissen, ist das Handwerk eine Gattung und die Kunst jenes Handwerks
ist das Niveau des Handwerks, das ebenso hoch wie niedrig sein kann, bis es im
Handwerk der Philosophie des Handwerks, verzeihen Sie mir, bis es im Schwätzen
über die Ästhetik verschwindet, wie Sie und viele Ihrer noch lebenden Anhänger
getan haben. Lieber Herr Professor, trennen Sie die Form der Kunst nicht von den
Inhalten des „Geistes“. Allerhöchstens trennen Sie diese vom geglätteten
Anstrich.
Ihre Theorie der Trennung der Form von den Inhalten hat unermeßliche Schäden
verursacht. Je mehr die Thematik als Inhalt der Kunst betrachtet wurde, desto
mehr zwang sie sich der Form auf, bis sie schließlich von der Moralphilosophie
einverleibt wurde, in dem Glauben, somit die Kunstform in den Tod zu führen.
Die Kunst verlor ihre Zeitlosigkeit, bis die kontingente rein politische Erklärung
der Entscheidung ob links oder rechts je nach Orientierung Ihrer Schulen als
Kunst ausgegeben wurde. Künstlerisch wurde das rein soziale Verhalten und nicht
ein perfekter Gegenstand. So kommt es heute vor, daß Künstler ein Kommunist
ist, weil er kein Faschist ist, ebenso wie ein Frömmler, weil er kein
Pfaffenhasser ist. Setzt jemand die Häuser auf der rechten Straßenseite in
Brand, ist er ein linker Künstler, der Kunstwerke schafft, da er die „höchsten
Interessen des Geistes“ ins Bewußtsein ruft, wer aber die Häuser auf der
linken Straßenseite in Brand setzt, ist ein rechter Künstler, der ebenso
Kunstwerke schafft, da er die höchsten Interessen des Geistes ins Bewußtsein
ruft. Es heißt, Athleten, die Wettkämpfe gewinnen oder Maler, die ein schönes
Bild malen, seien überholt, weil sie sich im „Zufälligen“, d. h. in der
Form, wie Sie sagten, verlieren und sich nicht dafür einsetzen, die „höchsten
Interessen des Geistes“ ins Bewußtsein zu rufen. Diesen Künstlern klopft man
allerhöchstens auf die Schulter, um sie zu ermuntern, lobenswert weiterzumachen.
Der Athlet soll weiter siegen, wenn er jedoch verliert, ist es egal. Denn wert
ist nicht der Sieg, sondern die Teilnahme an einem Wettkampf, wie man gewöhnlich
sagt. Aber diese Lehrer der „reinen“ Kunst, die den ersten vom letzten
Athleten nicht unterscheiden, merken nicht, daß die Teilnahme an einem
Wettkampf ohne Sieger und Besiegte gleichbedeutend wie das Mästen der Schweine
ist. Auf diese Weise ist alles gleichzeitig gut und schlecht.
Glauben Sie mir, lieber Herr Professor, heute befinden wir uns alle im
Mist, denn die Kunstform wurde für die „höheren Interessen des Geistes“
aufgegeben, so daß wir uns ohne Interessen befinden und der „Geist“ nur der
der Skeptiker ist. Ohne sinnliche Figuration wird kein Wettkampf mehr
ausgetragen, alles wird miteinander vermischt, auch das Gute und das Böse
vereinheitlichen sich und so wachsen verweichlichte Kinder ohne Rückgrat auf,
welchen alles erlaubt ist, auch aus Vergnügen auf Passanten zu schießen und später
an einer Überdosis zu sterben. Lieber Herr Professor, trennen Sie die Form
nicht vom Inhalt. Die Form ist der Inhalt. Sie dachten, der Inhalt gehöre dem
Verstand und nicht dem „Fleisch“ an, denn Sie wußten nicht, daß das Gehirn
die gesamte Projektmäßigkeit des Fleisches darstellt. Sie dachten, die
Projektmäßigkeit sei der finalistische Befehl des Verstandes und die Sinne ein
billiger Mechanismus der Ausführung, wenn sie nicht gerade ein Hindernis waren.
Sie dachten, das „Fleisch“ sei nicht der Verstand selbst, weil es nicht im
Encephalon war. Nicht nur ist das Fleisch wohl im Encephalon, sondern es ist die
Projektmäßigkeit des Encephalons, die vom Bedürfnis des Fleisches bestimmt
ist, wie Moruzzis Experiment beweist. Heute entdeckt man, daß die Idee der
wirklichen Form die einzige Wirklichkeit ist, die das Encephalon besitzt, sodaß
Gehirn und Verstand aufgrund ihrer gemeinsamen Zweckmäßigkeit sogar zu
Synonymen werden. Andernfalls wäre der Verstand nicht die Funktion des Gehirns,
was sich als unwahrhaft erwiesen hat. Also enthält das formelle Bild seinen
Geist nicht, sondern es ist selbst Geist, ansonsten wäre die Projektmäßigkeit
eines denkenden Wesens vor dem Wesen selbst und alles wäre vorherbestimmt. Wir
verweigern jedoch hier die Existenz einer auch nur minimalen Vorherbestimmung,
da wir klar die Existenz der Freiheit sehen.
Um Ihrer Vorlesung über die Zufälligkeit der Form der Natur Folge zu
leisten und zu größerer Ehre des „Inhaltes“ hat nun jemand im Kunstwerk
die analogische Gestalt der Wirklichkeit mit der fotografischen Nachbildung der
Gestalt der Wirklichkeit ersetzt.
Sie müssen wissen, daß etwa hundert Jahre nach Ihrem Tod ein Gerät
erfunden wurde, welches in der Lage war, auf einem Bogen Papier die Bilder der
Natur festzuhalten, genau wie das Gehirn mittels der Augen und der Hand auf dem
Papier macht. Dieses Bild, Fotografie genannt, bezieht sich auf einen
Sekundenbruchteil der werdenden Wirklichkeit. Diese Leute verwenden die
Fotografien, um die „höheren Interessen des Geistes“ zu offenbaren, die wir
hier, in Anbetracht der Entwicklung der Dinge, ruhig als politische Ideologien
zugunsten der Zeiten bezeichnen können. Es entspricht der Wahrheit, daß eine
Fotografie wie ein Kunstwerk die Finalität der Thematik besitzen kann, jedoch
ist das Kunstwerk nicht ihre Thematik, sondern das Wie, das, wie wir
gesehen haben, dem formellen „Wieviel“ entspricht, das die Thematik
verdeutlicht. In der Fotografie wird eine dem Willen des Künstlers
voranstehende Gestalt wiedergegeben. Die Kunst hingegen bringt über die
Thematik hinaus eine neue Form hervor. Die Fotografie der Natur ist wie die
Natur im Spiegel. Heute weiß man, daß die Augen des Gehirns jede Sekunde
Millionen von Fotografien schießen und daß die Projektmäßigkeit des Gehirns
nur jene Bilder verwendet, die es für konstruktiv oder für das Projekt nützlich
hält. Wie Sie wohl verstanden haben, ist eine einzige mechanische Fotografie im
Vergleich zu einem Werk, das der zweckgebundenen Auswahl von Millionen von
zerebralen Bildern entspringt, künstlerisch wirklich dürftig. Die analogische
oder künstlerische Form ist eine neue persönliche Form. Der Inhalt des
fotografischen Werks ist schließlich die Predigt der Thematik, jene Predigt,
die Sie als Inhalt der Kunst haben betrachten lassen und heute jedoch als das,
was sie wirklich ist, erscheint.
Dasselbe gilt für die mit Hilfe des „Computers“ vorgenommene
Montagekonstruktion. Der Computer ermöglicht die effiziente Ausführung einer
Thematik mit einer im voraus gebildeten oder vorgefertigten, dem Willen des Künstlers
vorangehenden Form. Die Themenausführungen am Computer besitzen keine der
Freiheit des Künstlers entsprungene Form. Wenn man mit der „Maus“ eine Form
zeichnen möchte, würde man genauso wie mit dem Bleistift vorgehen. Mit dem
Unterschied, daß der Bleistift sich besser von der Hand führen läßt und die
Hand ist der Verstand selbst. Die „Maus“ als Ersatzgerät für den Bleistift
und für die Hand ist eine Verschlechterung der Fähigkeit, die Idee des Gehirns
zu übertragen.
Die von einem geistig manuellen Künstler vorgenommene Konstruktion der
analogischen Form kann in der Darstellung die Form der Natur verwandeln. Mit
ihrer Analogie ist die künstlerische Form eine neue Natur. Sie ist wie die
Natur: unwiederholbar, also wahre geistige Substanz. Die Montage erscheint
hingegen ohne formelle Einheit, aber einheitlich nur in der thematischen Ausführung.
Sie müßten diesen komplizierten Mechanismus sehen, der für einige auf
Zeitersparnis ausgerichtete Leistungen äußerst nützlich ist. Der
„Computer“ ist wie ein unbeweglicher Speicher von unbeweglichen Bildern, in
dem Rückgut zu suchen ist, um es der Konstruktion der thematischen Idee
anzupassen. Der Computerfachmann, der vom Computer die Formen abnimmt, besitzt
selbst nicht die Idee der Form, die er für seine Thematik entnimmt. Die Idee
dieser Form ist auf den Fachmann zurückzuführen, der sie in den Computer
eingespeichert hat. Und eine bereits vollendete Form zu finden, bedeutet, dann
nicht in der Lage zu sein, sie selbstständig zu erwägen. Sie werden nun wohl
die Folgen verstehen, die Zentralität der Form zugunsten eines imaginären
Geistes bzw. eines reinen Inhalts aufgehoben zu haben. Von Ihrem Geist oder
reinen Inhalt blieb nur die reine soziale Thematik von kurzer historischer Dauer
und mit kurzer kurzlebiger Zweckbenutzung. Es blieb die Unfähigkeit, eine Form
und daher einen künstlerischen Inhalt zu denken.
Die zweite Banalität drücken Sie folgendermaßen aus: „Das
Kunstwerk sei kein Naturprodukt, sondern durch menschliche Tätigkeit zuwege
gebracht“ (Hegel, ibidem, S.
44).
Sie wollen, daß die menschliche Tätigkeit nicht natürlich sei, so ist
es für Sie natürlich, daß auch der Mensch nicht natürlich sei. Gibt es
vielleicht eine nicht natürliche menschliche Wirklichkeit? Wenn Sie wollen, daß
die Kunst nicht natürlich sei, soll sie nicht wahrnehmbar sein. Warum also
schreiben Sie wahrnehmbare Worte, wenn Sie denken, daß der Gegenstand Ihrer
Worte nicht wahrnehmbar ist. Sie haben Dinge gepredigt, die nicht gepredigt
werden können. Wie ich Ihnen bereits gesagt habe, liefern uns die
Neurowissenschaften heutzutage den Beweis, daß keine Erkenntnis über den
sinnlichen natürlichen Gegenstand hinausgehen kann. Die
Schlußfolgerungen aus Voraussetzungen, wenn diese wahr sind, d.h. sinnliche
Wahrheiten, verdeutlichen also formell, was bereits in den Voraussetzungen
enthalten war. Und da ja unser zentrales Nervensystem das Ergebnis einer
Entwicklung ist, die mit der Entstehung eines ersten Moleküls und eines
Einzellerorganismus vor Milliarden von Jahren ihren Anfang nahm, muß die
individuelle Freiheit unserer Ahnenzellen der Ausgangspunkt unseres derzeitigen
zentralen Nervensystems sein. Johann
Friedrich Meckel sagt, „das höhere Tier geht während seiner Entwicklung
durch die permanenten organischen Stufen seiner niederen Arten“ (Changeux, Ragione
e Piacere, Cortina, S. 129).
Die Gestalt der mentalen Darstellung muß also von der sinnlichen und
zweckgebundenen Gestalt der Natur modelliert sein, wie das Experiment Moruzzis
beweist. Auch muß unsere erste
Ahnenzelle die ästhetische Fähigkeit besessen haben, für sich selbst das
Beste zu erkennen und auszuwählen und das Schlechteste abzulehnen. Ohne die
Entscheidungsfreiheit und -fähigkeit unserer ersten Ahnenzellen wäre unsere
derzeitige Entscheidungsfreiheit unmöglich gewesen.
So besteht zwischen dem genetischen Geist, den Sie „Fleisch“ heißen
und der projektmäßigen Freiheit des derzeitigen Individuums, die Sie „Geist“
heißen, kein Kampf, sondern Identität der Aufbauarbeit, die vom Individuum bis
zur Art reicht, ausgehend vom ersten Molekül bis hin zum voll entwickelten
Menschen. „Wir bewahren in unserem Gehirn den materiellen Abdruck unserer
Ahnenfische auf, die etwa vor dreihundert Millionen Jahren lebten, und
vielleicht auch von primitiven noch älteren Würmern“ (Changeux, ibidem,
S. 147).
Das Gedächtnis der Erfahrungen, die wir durch ein ästhetisches Urteil für
nützlich halten, dient als Modell und Ausgangspunkt für neue Erkenntnisse. „Diese
außergewöhnliche Fähigkeit des menschlichen Gehirns, mentale Vorstellungen zu
erzeugen und zu beurteilen, sie zu übertragen und zu speichern, ermöglicht die
Verbreitung und die Verewigung der Vorstellungen von einer Generation zur
anderen“ (Changeux, ibidem, S. 156).
Viele denken, dieses Gedächtnis der Erfahrungen sei unfähig, das Erbgut
zu verändern. Wenn sich jedoch die Lebensformen in logischer Weise durch die
Erfahrung fortentwickeln, muß das Gedächtnis der Erfahrungen die Quelle der
genetischen Kodifizierung sein. Andernfalls wären die Erfahrungen nutzlos. Man
darf nicht glauben, eine konsequent logische Entwicklung sei dem Zufall
zuzuschreiben, der weder progressiv noch logisch, sondern gelegentlich und
umkehrbar ist. Es steht fest, daß gezähmte Tiere im Vergleich zu Exemplaren in
freier Wildbahn im Laufe von Tausenden von Jahrhunderten deutliche Veränderungen
der Knochen und der Muskelstruktur erfahren haben. Wenn
nun von zwei Tieren mit demselben genetischen Ausgangspunkt eines sein Umfeld
wechselt und sich dabei verändert, heißt es, daß seine Struktur durch die
Anpassung an das neue Umfeld und nicht durch Zufall geändert wird. Eine im
Voraus geplante Evolution ist heute für uns nicht akzeptabel, sie ist das
Ergebnis einer gegenseitigen zeitgemäßen Anpassung aus Bedürfnis der
Individuen und der von den Individuen gebildeten Umwelt. Das Gedächtnis der
Erfahrungen muß daher die Quelle der Beschlüße des Umweltverhaltens sein, die
die Art und folglich das Gen in den Zeiten und in den Weisen entwickeln, die
wiederum für eigenes Bedürfnis von der Entwicklung ausgesucht sind. „Im
Gehirn verknüpfen sich in außergewöhnlicher Weise drei Entwicklungen, die der
Art, die der Individuen und die der Kulturen“ (Changeux, ibidem, S. 6).
Vittorino Andreoli erklärt, daß das Encephalon die Möglichkeit „einer
eigenen Veränderlichkeit aufgrund von äußerlichen Reizen und daher der
Erfahrung“ hat (La norma e la scelta, Mondadori 1984, S. 19). Wenn
strukturelle, von der derzeitigen Erfahrung verursachte Änderungen des
Encephalons nun zur Zeit möglich sind, ist es ebenso zu vermuten möglich, daß
die gesamte Struktur des Encephalons sich durch die vergangene Erfahrung
gebildet habe. Wenn man bedenkt, daß sich die ersten Lebensformen unserer Ahnen
ohne Encephalon abwickelten, muß das Encephalon notwendigerweise das
Endresultat, wenn auch nicht das letzte, einer Erkenntnistätigkeit sein, die
vom Zusammenschluß in einem Organismus der ersten Zellen, wenn nicht gerade der
ersten Moleküle, ausgegangen ist. Die Erbanlagen müssen also ebenfalls das
End- und nicht das letzte Ergebnis einer Umwandlung sein, die vom ersten
Zusammenschluß in einem Organismus primitiver Lebenselemente am Anfang ihrer
Erkenntniserfahrung ausgegangen ist.
Ich glaube, Sie werden wohl die Informationen der modernen
Wissenschaftswelt berücksichtigen und solche Hypothesen in Betracht ziehen.
Sodaß Sie schließlich nicht mehr denken können, der Geist sei nicht der Körper.
Sodaß Sie denken können, der Geist entwickle sich, da er Körper ist. Würde
der Geist sich nicht entwickeln, hätte unsere erste Ahnenzelle unseren eigenen
derzeitigen Geist besitzen müssen, aber es ist vernünftig, daß jeder Körper
sein eigener Geist sei, obgleich er eine mit dem Rest der Welt gemeinsame Seele
habe.
Und nun werden Sie mich wohl fragen, was Seele ist,
wenn der Geist Körper ist. Mit dieser Frage werden Sie mutmaßen, daß ich die
Existenz des Geistes leugne und daß es auch keine Seele existiert, wenn der
Geist nicht existiert.
Ich möchte die Seele als das Bedürfnis nach der
physischen oder geistigen Effizienz definieren, jedoch nicht als den Geist
bestimmende Ursache, wie Sie möchten. Sie beschreiben die Seele als das, was
die zweckgebundene Bewegung der Körperteile koordiniert. Diese nicht „zufällige“
Bewegung (Hegel, Vorlesungen über die Ästhetik, Suhrkamp 1999, S. 167)
leugnen Sie den Tieren, die nur willkürliche, nicht im Einklang mit Gesetzen
stehende Bewegungen hätten. Die Besonderheit der Seele ist für Sie die Bestimmtheit
der bewußten Bewegung. Aber Sie lassen eine wichtige Eigenschaft der
Bewegung außer Acht, nämlich ihre kontinuierliche finalistische Effizienz auch
nach dem Tode des bewußten Körpers und der Teile, aus denen er besteht. Es
kann nicht anders sein, denn zu Ihrer Zeit kannte man die Bewegung der Atome und
derer Teilchen noch nicht. Zweck dieser Bewegung ist das Leben im Allgemeinen,
sie enthüllt eine großartige Effizienz, die auf die Schaffung von
anderen bewußten und unbewußten Leben koordiniert ist. Diese Effizienz kann
nicht persönlich sein, auch wenn das Individuum als Geist diese Effizienz persönlich
finalisiert. Könnte sich das Individuum selbst die Effizienz verleihen, wäre
es unsterblich. Die Effizienz der Bewegung ist also auf ein Seiendes zurückzuführen,
das das Individuum transzendiert und das ich Seele oder Primärbedürfnis
der Existenz nennen würde. Die finalisierte Koordination der Bewegung würde
ich hingegen dem Geist zuschreiben, d. h. dem finalistischen Körper jedes
Individuums. Würde die Seele die Bewegung des Körpers bestimmen, wie
Sie sagen, dann hätte sie ein Verhältnis zum Körper derselben Natur. Sie wäre
nicht nur spezifisch jenes Körpers, sondern hätte sie auch ein
Entwicklungsverhältnis zum Körper, wobei sie jegliche Transzendenz zum Körper
verlieren würde. Da die Seele jedoch nur das Bedürfnis nach Effizienz des Körpers
ist, ist ihre Transzendenz zum Körper unbedingt erforderlich. Anhand dieser
Unterscheidung wird die simultane Anwesenheit eines unsterblichen Seienden in
der Wirklichkeit als Bedürfnis nach der Effizienz des Sterblichen verständlich
und die Seele wird als Bedürfnis des projektmäßigen Körpers, d.h. des
Geistes, erforderlich.
Sie sagen, die Symmetrie der Kristalle sei darauf zurückzuführen, daß
ihnen die Seele fehlt. Dies erklärt, welche Auffassung Sie von der Seele haben.
Sie schreiben, „in dem Auge konzentriert sich die Seele“, das Auge,
„welches der Sitz der Seele ist“ (Hegel, ibidem, S. 203 ) und
noch: „Die edleren Eingeweide sind die inneren, Leber, Herz, Lunge“ (Hegel,
ibidem, S. 184).
Sie haben eine sterbliche Auffassung von der Seele, wie es sich nur dem Körper,
besser gesagt dem Geist in seiner Einzigartigkeit und projektmäßigen
Unwiederholbarkeit gehört. Die Seele hingegen enthüllt sich uns als das Bedürfnis
nach der Effizienz des Projektes. Daher transzendiert sie das Projekt jedes
Lebewesens, also auch jeden Geist. Da also der Beweggrund universell ist, ist er
kein persönliches Vermögen, sondern nur ein persönlicher Besitz, wie ich
Ihnen bereits gesagt habe. Die Seele ist das Bedürfnis des Geistes, d.h. des Körpers.
Die Seele eines Heiligen ist diegleich wie die eines gemeinen Menschen. Sie ist
der Grund der Effizienz der Existenz. Sie ist die Spannung, die uns ermöglicht,
unser genetisches Leben frei zu bilden. Die Seele ist also Gott selbst, wie der
Geist des Menschen der Mensch selbst ist. So erscheint mir die Seele als ein
Wesen, das den Körper nur umwandelt und ihn nicht verlassen kann. Zwischen der
göttlichen Seele und dem Geist des Menschen und jedes projektmäßigen Seins,
einschließlich der Kristalle und der Elementarteilchen, kann es keinen
Vermittler und kein Hindernis, daher weder Konflikt noch Vereinbarung geben,
denn das Lebewesen besitzt das Bedürfnis seiner Effizienz, die es transzendiert.
So ist die göttliche Seele von der Natur besessen, da die Natur existiert und
der Tod Gottes ist nur eine unsinnige Aussage, die ihre Anwesenheit bestätigt.
Solange die Lebewesen also aufgrund ihres Bedürfnisses als künstlerische
Gestalt, d.h. als Geist leben werden, wird für sie kein Gegensatz zum Körper
bestehen. Die genetische Form erscheint mir daher als die Form des Geistes der
Art, sie erscheint mir als Kunstwerk, effizient aufgrund ihres Bedürfnisses
und, wie bereits gesagt, im vorläufigen Besitz der Seele. Wegen der von Ihnen
angebrachten vorgeschobenen Gründe wird die Kunst sicherlich nicht sterben. „Die
Innerlichkeit feiert ihren Triumph über das Äußere“ nicht „und läßt
im Äußeren selbst und an demselben einen Sieg“ nicht „erscheinen,
durch welchen das sinnlich Erscheinende zur Wertlosigkeit herniedersinkt“ (Hegel,
ibidem, S. 113).
Die moderne Wissenschaft hat die Unterscheidung zwischen Innen und Außen,
zwischen der Innerlichkeit und der Äußerlichkeit aufgehoben und dem Sinnlichen
den ganzen Wert zurückgegeben, den Sie ihm weggenommen hatten. Damit sind der
Tod der Kunst und der Tod Gottes besiegt. Die Kunst könnte sterben, wenn die
Seele sterben würde. Aber der Tod der Seele würde die Existenz über die
Energie hinaus auslöschen und das scheint mir unmöglich. Sehr verehrter Herr
Professor, ich fülle das Tintenfaß nach, aber das Papier brauche ich, um
sinnliche Figuren zu zeichnen und daher will ich mich darüber nicht zu viel
verbreiten. Schließlich will ich Ihnen jedoch unbedingt noch etwas sagen. Es
betrifft das traurige, Ihnen ebenfalls bekannte Ereignis, das aber mit einer
korrekten Interpretation einen anderen Wert gewinnt. Scheinbar erließ der
byzantinischer Kaiser Leo III. im siebten Jahrhundert des christlichen
Zeitalters sein berühmtes Verbot der christlichen Bilderverehrung nicht aus
Gutgläubigkeit. Tausend Jahre vor Ihnen dachte dieser Leo wie Sie, spielte
jedoch vor, die Bilder wären das „Fleisch“ im Kampf gegen den Geist. Er hätte
mit Ihren genauen Worten schreiben können, „daß die Kunst dennoch weder
dem Inhalte noch der Form nach die höchste und absolute Weise sei, dem Geiste
seine wahrhaften Interessen zum Bewußtsein zu bringen“ (Hegel, ibidem,
S. 23), wobei seine Geistesinteressen jedoch die kaiserlichen waren. Sie wurden
vom christlichen Mönchstum der klassischen Kultur beanstandet und um die
politische Opposition zu treffen, versuchte er, wie das so üblich ist, die
Kultur des Gegners zu treffen.
Der von Leo III. herbeigesehnte Tod der Kunst ist der von Ihnen
theoretisierte Tod. Aber ein Philosoph darf sich nicht wie ein Kaiser vortäuschen
und darf auch nicht zulassen, daß jemand ihn auf den Widerspruch hinweist, in
welchen er sich verwickelt hat, so wie Sie sich verwickelt haben, als Sie der
Figur mit einer figurativen Sprache Wert entzogen haben. Wenn wir miteinander
sprechen würden und unsere Worte nicht figurativ wären, würden wir uns nicht
verstehen. Ohne die wahren Gründe des antiken Bildersturms zu kennen, versteht
man auf Anhieb nicht, warum die Bilder die Zielscheibe Leos III. gewesen sind
und warum ein Denker wie Sie den Widerspruch bei der Theoretisierung der Unmacht
der Figur, den Geist mit einer unaufhörlichen Serie von formell figurativen
Urteilen darzustellen, die also nach Ihrer eigenen Theorie sofort selbstmörderisch
sind, nicht enthüllt hat. Streng genommen sollte der antike Bildersturm auch
Schriften und Gespräche sowie die figurativen kaiserlichen Erlasse treffen und
Sie, Herr Professor, hätten schweigen müssen und Ihre figurativen
antifigurativen Vorlesungen nicht abhalten dürfen. Die heutigen
informalistischen Künstler sind konsequenter als Sie und wenn sie aus Ihrer
Lehre die logischen Schlußfolgerungen ziehen, erzeugen sie keinen Gegenstand
mehr, denn auch eine weiße Leinwand, die zuvor mit figurativen Worten zum
Symbol der nicht figurativen Theorie erhoben wurde, spricht durch das eigene
Schweigen die figurative Sprache Ihrer Theorie. Eine weiße Leinwand ist an sich
künstlerisch gesehen nichts, indem sie jedoch mit ihrem Nichtfigurativsein die
Verneinung des Figurativen behauptet, wird sie zur vielsagenden und figurativen
Botschaft Ihrer nicht figurativen Philosophie. Damit also die weiße Leinwand
der figurativen Sprache, die sie erklärt, nicht unterliegen muß, ist sie wegen
jener Folgerichtigkeit, die Ihnen fehlte, abgefallen.
Den Historikern zufolge betrachten die Schinder die Verbreitung der
Kultur nicht mit Wohlwollen und um ihr niederträchtiges Ziel, über die anderen
zu herrschen, zu verheimlichen, denken sie sich künstliche Probleme aus. Das
herkömmliche, vom Tyrannen ausgeklügelte Argument behauptet, Gott sei nicht
darstellbar, was alle wissen, auch die tückisch figurativen Künstler. Und da
Gott nicht darstellbar ist, schlußfolgert der Tyrann, daß auch alles, was den
von Gott ausgeströmten Geist anbetrifft, nicht darstellbar sein kann. Von Ihrem
hohem Universitätsstuhl herab dozieren Sie genau wie der Kaiser des
Bildersturms und schreiben zum künftigen Verfall der Kunst, daß „Gott als
Geist nun auch auf höhere, dem Gedanken entsprechendere Weise gewußt“ ist,
„womit sich zugleich hervorgetan, daß die Manifestation der Wahrheit in
sinnlicher Form dem Geiste nicht wahrhaft angemessen sei“ (Hegel, ibidem,
S. 144).
Diese Schlußfolgerung können nur Redner ziehen, Künstler weisen sie
jedoch zurück. Da jede Erkenntnis sich durch ein Bild oder eine Figur
verwirklicht und jede mentale Gestalt durch Bilder bestimmt ist, muß auch ihre
Übertragung figurativ, d.h. gemäß ihrem Bilde strukturiert sein. Der
christlichen Lehre zufolge wurde Gott zum Menschen und ich glaube nur symbolisch,
um mit den Menschen in Verbindung zu kommen: „In der ewigen Erinnerung an
das Leben im Fleische unseres Herrn Jesu Christi haben wir die Tradition
erhalten, Ihn in seiner Menschenfigur darzustellen und somit die Selbstdemut des
Wortes Gottes zu verherrlichen“ (Germanus, 8. Jh.). Welcher Hochmut wird
aber in Wirklichkeit jenem Philosophen oder jenem Künstler zugeschrieben, der
sich vom „Fleische“ trennt? Vielleicht der wildeste, denn er muß sein
eigenes Fleisch verleugnen, welches, zu nichts gebracht, an die Existenz Gottes,
d.h. an das Primärbedürfnis der Existenz nicht denken kann. Die Zerstörung
der Bilder ist daher auch die Zerstörung der Erkenntnis und ohne Erkenntnis
kann es keine vernünftige Vorstellung von Gott geben. Dies beschuldigt
selbstverständlich Ihren Lehrstuhl des Obskurantismus. Wir stehen der
Erkenntnis offen, also betrachten wir als wissenschaftlich korrekt die Grundlage
der antiken Scholastik mit der Behauptung, im Verstand sei nichts, das nicht
schon zuvor in den Sinnen gewesen sei. Der Logik und den wissenschaftlichen
Beweisen zufolge denken wir, daß was zuvor in den Sinnen war, im Verstand die
Form der Sinne besitzt.
Die so genannten reinen Begriffe sind nicht schildbar, d.h. sie sind
nicht darstellbar. Wenn die Begriffe, wie der Begriff des reinen Raumes, die als
unabhängig von der empirischen Erfahrung erklärt sind, sich laut der
kantischen, von Ihnen bei dieser Grundlage akzeptierten Lehre der figurativen
Vorstellung nicht unterordnen können, ist es einfach darum, weil sie nicht
existieren. In welchen sündigen Widerspruch verwickelt sich ein Christ, der
glaubt, der Tod der Kunst sei möglich, wenn dieser der Tod Gottes ist? Für wen
nahm Jesus das Martyrium als Mensch auf sich? Warum ist der Körper Jesu vom Tod
auferstanden, wenn der Körper jenes gemeine von Herrn Hegel so verachtete
Hindernis ist? Vielleicht für die Christen, die die Existenz Gottes abstreiten.
Die christliche Kirche soll eine sorgfältige Analyse der Gründe einer nicht
ikonischen Kunst durchführen und erklären, ob sie christlich oder ketzerisch
ist.
Nur schwer akzeptieren wohl die Nostalgiker der
regressiven Welt des Bildersturms, daß ihr ganzes Denken ein Produkt sei,
welches auf die Neuronenorganisation folgt, auch wenn es ihnen gesagt wird, daß
diese von der göttlichen Effizienz angetrieben ist. Der wissenschaftliche
Realismus erschreckt sie, denn sie sind arm im Geist und ihre Gewißheit in der
Notwendigkeit Gottes ist schwach. In ihnen ist auch logische Schwäche und
Charakterschwäche. Schüchtern unterwerfen Sie sich jedem, der auf die Kanzel
steigt und merken die doch auffälligen Widersprüche in Lehren wie Ihrer, hochwürdiger
Lehrer, nicht. Fatal ist die Schwäche, die eine Unterscheidung der effizienten
Dinge vom Bedürfnis ihrer Effizienz verhindert. Diese Schwäche verursacht die
Schwierigkeit, simultan Gott und die Freiheit der Lebewesen koexistieren zu
lassen. Diese Angst kommt daher, daß man den Begriff des Vor von dem der
Priorität nicht unterscheidet.
Mir scheint, daß Gott nicht der Schöpfer, d.h. das Vor und die Ursache
der Geschöpfe sein kann, anderenfalls wäre er der Schöpfer dessen gewesen,
was er vor der Zeit noch nicht geschaffen hatte, daher ist es notwendig, daß
die Freiheit unserer Effizienz nicht auf das Bedürfnis nach Existenz folgt,
sondern gleichzeitig dazu ist. Man kann sagen, daß das Bedürfnis nach unserer
Effizienz eben die Anwesenheit Gottes in uns ist. Also kann Gott kein Vor im
Hinblick auf die effizienten Dinge haben, denn in jenem Vor wäre er die
effiziente Ursache dessen gewesen, was noch nicht effizient war, denn es
existierte noch nicht. Also hat Gott unseren Plan nicht vorbestimmt. Aber auch
Ihre Priorität ist nichts Edleres im Vergleich zu dem, was keine Priorität
besitzt, denn es ist unbegreiflich, daß diese Erhabenheit oder Priorität die
Effizienz ihres Mangels sei. Gott kann also nichts schaffen, er kann weder etwas
ihm Unterlegenes noch ihm nur Ähnelndes schaffen, da der Fall eines Aktes
Gottes, den er nicht seit jeher und nicht mit gleicher Würde im Vergleich zu
seiner Macht vollzogen habe, anwidert. Damit will ich sagen, daß das Bedürfnis
nach der Effizienz der Dinge in der Zeit nicht größer sein kann, als es seit
immer gewesen ist. Genauer gesagt, wenn man behauptet, daß Gott die Welt
geschaffen hat, muß man auch zugeben, daß Gott vor der Schöpfung am Schöpfungsakt
potentiell anwesend war. Aber der Übergang von potentiell auf den Akt bedeutet
„werden“ Von der Macht zum Akt überzugehen bedeutet jedoch „zu werden“
und Gott kann dem Werden nicht unterworfen sein, also kann Gott der Schöpfer
der Welt nicht sein.
Um vertreten zu können, daß Gott der Schöpfer der Welt ist und um ihn
gleichzeitig dem zeitlichen Werden zu entziehen, behauptet man, daß auch die
Zeit von Gott, abgesehen von der Zeit, geschaffen wurde, was bedeutet, Gott in
der Ewigkeit auszudenken und dabei zu erklären, daß die Ewigkeit nicht die
Totalität der Zeit ist, sondern daß jede Existenz in der Ewigkeit verschwindet.
Auch die Existenz Gottes verschwindet. Herr Professor, Sie als geschickter
Spieler der Logik, sagen Sie mir, ob man über die Einfachheit eines nicht
existierenden Begriffes, wie dem Begriff der Ewigkeit, wenn diese nicht die
Totalität der Zeit ist, spielen kann. Sagen Sie mir, ob man diesen falschen
Begriff so vermitteln kann: Auch wenn die Ewigkeit unendliche Zeit scheint, hat
sie jedoch mit der Zeit keinerlei Verwandtschaft, noch Ähnlichkeit oder eine
entfernte Analogie. Die Ewigkeit hat nichts mit etwas Bekanntem oder Erkennbarem
zu tun. Die Erkenntnis aller Dinge hängt von dem Bild ab, das uns die Zeit
davon gibt. Wenn ich einem intelligenten Kind und nicht einem von seinem
Philosophiedozenten verdorbenen Studenten erklären sollte, was die Ewigkeit ist,
würde ich ihm sagen, sich zuerst die Zeit in Jahren, in Milliarden von
Milliarden von Jahren, die vorübergehen, vorzustellen. Dann soll es sich die
Ewigkeit als etwas vorstellen, das diese ganze Zeit in einer Milliardstel
Sekunde vorüberziehen sieht und sofort würde ich hinzufügen, daß nicht
einmal diese Milliardstel Sekunde mit der Ewigkeit zu tun hätte, denn diese hat
mit der Zeit gar nichts zu tun. Das Milliardstel einer Milliardstel Sekunde kann
gemessen werden, die Ewigkeit hat mit keinem Maß zu tun.
Herr Professor, was sagen Sie zu diesem Trick, um
einem Schüler verständlich zu machen, was die Ewigkeit ist, wenn sie nicht die
Totalität der Zeit ist?
Entscheiden Sie jedoch, ob ich eben verstanden habe, was man unter
Ewigkeit meint. Sie scheint mir wie Ihr absolutes Unendliches, das nichts
mit dem zahlenmäßigen Unendlichen gemeinsam hat und daher wie die Ewigkeit ist,
die mit der Zeit nichts gemeinsam hat.
Sie sollten mir jedoch erklären, warum alle beim Wort „Ewigkeit“
sofort an die unendliche Zeit und beim Wort Unendlichkeit an die Unendlichkeit
der endlichen Dinge denken. Vielleicht weil allen die Ewigkeit und das reine
Unendliche als nicht existierend erscheinen? Oder weil im Encephalon nur
endliche Wirklichkeiten sind? Mir scheint, daß wer die Existenz einer Ewigkeit
vertritt, die nicht die unendliche Zeit sei, der sich selbst belügt. Die
Definition einer Entität ohne Zeit stützt sich nämlich nur auf die Negation
jeder realen Definition. Es ist durch die Negation des zeitlich Bekannten, daß
wir zum nicht Existierenden, mit einem leeren Namen bezeichnet, gelangen. Ich
glaube, die Schlußfolgerung der Existenz einer das Reale transzendierenden
Entität sei nur dort möglich, wo das Transzendente dem Realen nicht
entgegengesetzt, sondern seine Gewährleistung sei, wo „das Endliche wahres
Sein sei“, daher kann man alles über dieses Sein sagen, weil es selbst
unendlich ist. Etwas kann ohne zeitgleiche Wahrnehmung gedacht werden, aber
unter der Bedingung, daß es von der vergangenen Wahrnehmung nicht absieht und
ihren Endzweck beinhaltet.
Gott wird etwa nicht gemindert, wenn man ihm das Bedürfnis nach der
Effizienz der Welt zuschreibt, denn ohne das Bedürfnis nach ihrer Effizienz würde
die Welt nicht existieren. Aber wie man sieht, stützt sich das Bedürfnis nach
der Existenz auf keine Negation und auf keinen Gegensatz, sondern ist die Bestätigung
schlechthin.
Gott wird die Unendlichkeit auch nicht entzogen, denn die Effizienz des
Unendlichen als Totalität der Zeit ist unendlich.
Es heißt, Leonardo da Vinci bereitete den passenden endgültigen
Lackanstrich zu, bevor er anfing, ein Gemälde zu malen. Manche sagten daher,
Leonardo sei verrückt, denn er begann ein Werk vom Ende und nicht vom Anfang.
Dieser Anedokte verdeutlicht, warum eine „Priorität“ keine Vorzeitigkeit
ist und der zeitlichen Folge nicht unterliegt. Zeitgemäß hätte Leonardo
zuerst das Gemälde malen und es dann lackieren müssen. Wenn jedoch der Lack
nicht zuvor zubereitet oder für ein gewißes, mit einer bestimmten Technik zu
malendes Gemälde auf konkret passende Weise gedacht worden wäre, hätte man
dieses Gemälde vergebens oder überhaupt nicht angefertigt. Für Leonardo hatte
der Lack eine Priorität im Vergleich zum Gemälde, obschon er zeitlich gesehen
nach dem Gemälde kam. Die Priorität Gottes ist die einfache Gewährleistung für
die Effizienz der Dinge und hat keine Beziehung zur Chronologie der Dinge, auch
wenn sie die Dinge in ihrer Chronologie gewährleistet. Diese Gewährleistung
der Effizienz transzendiert den gewährleisteten und effizienten Gegenstand. Sie
ist einzigartig und ziemt sich als einziges Attribut für Gott, da sie den
effizienten Dingen nicht unterliegt. Also kann Gott gedacht werden, auch wenn er
nicht wahrgenommen wird, denn er wird gedacht als Gewährleistung dessen, was
wahrgenommen wird, da das, was wahrgenommen wird, sich (ohne Finalität) nicht
selbst gewährleisten kann. Da Gott die Finalität der wahrgenommenen Dinge ist,
garantiert er deren Existenz. Wenn die wahrgenommene Materie der „Gegensatz“
Gottes wäre, würde Gott verschwinden, denn der Gegensatz dessen, was gewiß
ist, ist das Unmögliche. Gott wäre nicht gedacht. In der Negation der Existenz
der Materie befindet sich die Negation des Bedürfnisses der Existenz. Gott ist
daher real, denn das reale Endliche, das Gott denkt, ist real. Das Reale denkt
ihn als die Gewährleistung seiner Existenz. Und es ist kein Wahnsinn, das Bedürfnis
nach Effizienz von den effizienten Dingen zu unterscheiden. Wenn man die Zweckmäßigkeit
all unserer Handlungen zugibt, muß sie wohl zumindest in unseren Augen von den
zweckgebundenen Dingen unterschieden werden. Aber scheinbar sehen unsere Augen
das, was ist und nicht das, was nicht ist. Aber Sie, Herr Professor, sahen viele
Dinge mit den Augen nicht, Sie erfanden die „Gegensätze“ dessen, was Sie
sahen. Wir sehen die Priorität Gottes als die Priorität, die wir dem Zweck
unserer Taten verleihen. Da Gott das Bedürfnis nach der Effizienz unserer Taten
ist, hat Gott daher notwendigerweise eine Priorität ohne zeitliche Bestimmung
zu unseren Taten, aber auch zu dem, was wir nicht machen, wenn es als Tat
gedacht oder mittels der Kenntnisse des Realen zu machen ist.
Auch die einfache Vorstellung, einen Gegenstand herzustellen, Gutes oder
Böses zu tun, liegt formell, strukturell und physisch konkret im encephalischen
Bild und wird von dem Bedürfnis nach einer vollendeten Tat angetrieben. In der
Entscheidung, etwas zu tun, liegt bereits die Form jenes Etwas in unserer
physischen encephalischen Struktur. Es sind nur die von einem fremden Willen
angetriebenen Verhinderungen, die unser Projekt fehlleiten können und daher,
auch wenn das Projekt nicht verwirklicht ist, hat sein Primärbedürfnis nicht
gefehlt, vielmehr gehört es der Priorität der Seele ohne spezifische
Bestimmung, wie wir bereits gesagt haben.
Schließlich werden Sie mich fragen, warum ich Sie dem Kaiser des
Bildersturms gleichstelle: Sie hatten kein Kaiserreich zu verteidigen, das ist
wahr, aber Sie verteidigten Ihre Burg, indem Sie viel Stroh und wenig Korn
machten. Äußerst kaltblütig haben Sie die Gestalt der Natur als Sündenbock
genommen und an die Folgen nicht gedacht.
Im Übrigen weiß man, daß Ihnen der wundervolle Anblick der
verschneiten Alpengipfel keine Emotionen erweckte. Heutzutage würde ein
Neurobiologe bei Ihnen eine Gehirnverletzung oder -Störung vermuten, die
typisch desjenigen sind, der perfekt rational ohne Gefühle ist.
Es ist nun höchste Zeit, daß ich diesen Brief an Sie mit der Miteilung,
wie versprochen, der Ergebnisse eines mit wissenschaftlicher Korrektheit
durchgeführten Experiments abschließe, in welchem erwiesen wird, daß die
Gestalt der sinnlichen Natur der Inhalt der Natur und der Idee der Natur ist:
Ein französischer Forscher, Professor Changeux, der das Labor für
Molekularneurobiologie beim Pasteurinstitut in Paris leitet, berichtet von einem
Experiment, das von einer Wissenschaftlergruppe an einem Makaken durchgeführt
wurde. Bei dem Experiment wurden die Neuronantworten des Affen, die nach der
Erklärung von Professor Changeux mit denen des Menschen übereinstimmen,
aufgenommen. Diesem Affen wurde die Zeichnung eines Menschengesichts von vorne
gesehen gezeigt. Dann wurde ihm dieselbe Zeichnung gezeigt, jedoch ohne Augen.
Danach wurde die Zeichnung mit „naiven“ Linien gezeigt, wie man heute im künstlerischen
Fachjargon sagen würde. Dann wurde das Bild auseinandergelegt und in getrennten
Teilen gezeigt, im heutigen künstlerischen Fachjargon „abstrakt“, d.h.
nicht figurativ, ohne Analogie zu den genetischen Formen der ersten Zeichnung.
Also, die Neuronantworten waren beim ersten Bild am intensivsten, wurden allmählich
schwächer und waren schließlich vor der abstrakten Vorlage fast verschwunden.
Das Experiment beweist Folgendes: Wenn ein Zeichen aus Analogie auf die Funktion
eines logischen, d.h. strukturell von Natur aus finalisierten Bildes, also auf
einen rationalen Wert nicht zurückzuführen ist, bringt es keine gefühlsmäßigen
Antworten. Das Experiment der Forscher dient nun als wissenschaftliche Grundlage
für die von mir und wenigen anderen verfochtene These, daß das Informel durch
den Ausschluß jeder Analogie zur genetischen Form der Natur die Möglichkeit
jeglicher gefühlsmäßigen Antwort ausschließt. Dieses Experiment zeigt auch,
daß jenes „Sinnliche“, das Ihrer Meinung nach besiegt werden muß,
eindeutig der Sieger ist. Der Geist, so wie Sie sich ihn im Gegensatz zum „Fleisch“
vorgestellt haben, existiert nicht und die Kunst ist nur die formale
finalisierte Vollendung des Sinnlichen, jenes Sinnlichen, auf welches jede
Erkenntnis und daher jede geistige Bewegung, soweit sie sinnlich ist, zurückzuführen
ist. Lieber Herr Hegel, die Kunst, die Sie gekreuzigt haben, ist am dritten Tage
auferstanden.
Mit vielen sinnlichen Grüßen.
Mario Donizetti
P.S. Ich darf mich bei Ihnen für den anmaßenden Ton meines Briefes
entschuldigen, aber ich habe ihn verfaßt, angetrieben von der Beleidigung, die
ich von der modernen Welt, einer deren Gründer Sie sind, erfahren habe.
Lieber Platon, lieber Meister,
vielleicht hat Dir noch niemand das mitgeteilt, was die Wissenschaftler
meiner Zeit so großzügig allen vermittelt haben und somit die Unterscheidung
zwischen dem Menschen mit Gemeinsinn und dem Philosophen mit „ekstatischem
Wissen“ aufgehoben haben.
Ich selbst habe Kenntnis von einigen Tatsachen erlangt. Ich habe sie mit
den neueren Problemen der Kunst und mit Deiner Lehre der „Ideen“ in
Zusammenhang gebracht und mich dazu entschlossen, Dir diesen Brief zu schreiben.
Also sagte mir Vittorino Andreoli, ein Neurologe von hohem Ruhm, daß ein
aus wenigen Zellen bestehender Organismus nie ein Nervensystem und schon gar
kein zentrales Nervensystem oder Gehirn besitzt, denn die Zellen, die ja wenig
sind, stehen alle in direktem Kontakt zum Äußeren des Körpers, zu dem sie gehören
und können daher selbstständig und direkt von außen das erhalten, was ihnen
zum Überleben dient. Wenn auch ohne die Anweisungen eines Gehirns handeln all
die Zellen für das eigene Einzelwohl, welches gleichzeitig das Wohl des
gesamten Organismus ist. Jede Zelle eines Organismus ist nach dem eigenen Bedürfnis
gegliedert, genauso wie diejenigen die, ohne einem Organismus anzugehören,
jedoch selbstständig und nicht gemeinschaftlich in Anhäufung leben.
Auch wenn die Zellen in Anhäufung nebeneinander sind, haben sie im
Gegensatz zu denen eines Organismus weder eine nutzbringende Beziehung
zueinander noch einen Austausch miteinander.
Nun frage ich Dich, ob man sagen kann, daß ein Organismus ein solcher
ist und sich von der Anhäufung unterscheidet, wenn die Zellen zusammen mit den
anderen nahe- und aneinanderliegenden Zellen eine zu einem gemeinsamen Zweck
gerichtete Funktion ausüben und nicht mehr unabhängig und selbstständig sind.
Wenn das stimmt, kann man wohl auch sagen, daß eine nicht unvereinbare
Beziehung zwischen „Vielfältigkeit“ und „Einheit“ möglich ist. Man
kann sagen, daß die gemeinsame Finalität seiner Teile „einen“ Organismus
als solchen bestimmt und daher kann man denken, daß die Teile eines Organismus
ihrerseits „eins“ und solche sind, da sie wiederum von einem Zweck, wie dem
Kern, den Membranen u.s.w. (im spezifischen Fall der Zellen) angetrieben sind.
Diese Teile bestehen dann aus weiteren immer zahlreicheren Teilen, die durch
einen gemeinsamen Zweck wie die Moleküle, die Atome und die kleinsten Teilchen
gekennzeichnet sind. Wie ich bereits gesagt habe, wird die „Vielfältigkeit“
(die Teile eines Organismus) nur dann zur „Einheit“, wenn die Teile einen
gemeinsamen Zweck erfüllen. Du hast bewiesen, daß „eins“ nicht formal sein
kann, auch wenn es nach den Worten Parmenides kugelförmig ist und aus einem
einzigen Stück besteht. Ich erinnere mich an Deine Bemerkung, daß die Mitte
einer Kugel nicht ihrer Oberfläche entspricht und „eins“ also nur der Zweck
ist, der jedoch als solcher die Teile transzendiert. Durch seine Einheit
transzendiert er die Formen und ihre Mechanismen. Wenn im Gegenteil die Finalität
des Mechanismus sich mit dem Mechanismus selbst identifizieren würde, wie die
modernen Menschen möchten, würde auch die Idee selbst des Mechanismus fehlen.
Das „eine“ ermöglicht nämlich die „vielen“, da die „vielen“ „viele
einen“ sind. Würde das „eine“ der Finalität nicht existieren, könnten
wir weder die Idee des „einen“ noch die Idee der „vielen“ Mechanismen
und der vielen Formen, der vielen Zellen, der vielen Atome haben, die „viele“
sind, weil sie eben „eins“ in der Finalität sind.
Die Erkennung des Mechanismus, d.h. der Form als Funktion eines
Gegenstandes oder eines Körpers ist möglich, falls „eine“ Finalität
ermittelt wird, wie es für den Organismus im Gegensatz zur Anhäufung gesagt
wurde. Es ist daher notwendig, daß das „eine“ die Existenz der „vielen“
und umgekehrt sei. Den vielen würde die Existenz fehlen, wenn sie „eine“
Finalität nicht hätten, die sie transzendiert, auch der Finalität würde die
Existenz fehlen, wenn sie die vielen nicht finalisieren würde, denn ohne die
vielen würde sie nichts finalisieren.
Die Transzendenz der Finalität ermöglicht die Existenz sowohl des „einen“
als auch der formalen „vielen“.
Ohne die Existenz des „einen“ wären die „vielen“ vernichtet,
d.h. inexistent, wobei das „eine“ jedoch seinerseits keine „Wirklichkeit“
hätte, wenn ihm die „vielen“ entzogen wären, denn es wäre der Zweck
dessen, das nicht existiert und ein Zweck dessen, das nicht existiert, existiert
nicht. „Eins“ und „viele“, d.h. die Körper und ihr Zweck müssen also,
wenn auch getrennt, simultan sein.
Also sagte ich Dir, daß wenn ein Organismus dank der stetigen Vervielfältigung
seiner Zellen umfassend wird, wenn seine Zellen durch ihre Anzahl die nach außen
gerichtete Oberfläche des Organismus überschreiten, das heißt wenn einige
Zellen im Inneren des Organismus von den äußeren Zellen isoliert werden und
nicht mehr die Möglichkeit eines externen Kontaktes haben, um ihre Bedürfnisse
nach der Erkenntnis ihres einzelnen Wohles oder Übels unmittelbar zu
befriedigen und daher ihr Wohl nicht mehr unmittelbar auswählen und sich also
um ihre Erhaltung kümmern können, der Organismus Nervenzellen herstellt und
sie in einem System anordnet, das sich im gesamten Körper verzweigt und
diejenigen Informationen, die die äußeren Zellen dank ihrer Lage bereits
kennen, nach innen, das heißt zu den inneren Zellen des Körpers, weiterleitet.
Die so genannten intelligenten Tiere haben Milliarden und Abermilliarden
von Zellen, also braucht das Nervensystem eine Zentrale zum Sammeln der
Informationen und zum Weiterleiten der Befehle an alle Zellen des Körpers
aufgrund der empfangenen Informationen und dies zum Zweck des Überlebens des
gesamten Organismus.
Genauso wie die Staffeln Nachrichten aus den Randgebieten zum Amt eines
Staates bringen, so gelangen die von einer Kette von Nervenzellen übermittelten
Informationen von der Peripherie unseres Körpers ans Gehirn.
Wie von der Regierung Befehle an die Grenzprovinzen erteilt werden, wie
sie aufgrund der erhaltenen Informationen mit den angrenzenden Staaten umgehen
sollen, so werden vom Gehirn an alle Zellen des Körpers Befehle erteilt,
aufgrund der erhaltenen Informationen dieses oder jenes zu tun oder nicht zu tun.
Man kann also nicht ausschließen, daß sich die Staaten, ohne sich dessen bewußt
zu sein, bereits seit jeher aufgrund der gleichen Notwendigkeit und daher einem
Naturgesetz gemäß nach dem Schema der genetischen Organismen organisiert haben.
In der Aufgabe, Informationen zu empfangen und weiterzuleiten, hat der gesamte Körper
an diesen Funktionen teil und fühlt sie, spürt sich selbst in einer auf diese
Funktionen finalisierten Spannung, genauso wie in einer wahren Demokratie. Der
Staat steht im Dienste der Individuen, aus denen er besteht und diese
identifizieren ihre eigenen Interessen im Staat. Es kann nicht ausgeschlossen
werden, daß sowohl ein Körper als auch ein Staat einen selbstverständlichen
Kollaps erleiden, wenn keine Erwiderung von „liebevollen Gefühlen“, wie Du
sagtest, besteht. Du hast eben Deine „Republik“ als einen Naturkörper mit
Unterteilung in Fachteilen konzipiert. Wie ein Körper je nach Funktion sich
verschiedener Fachzellen bedient, so hast Du Dir Menschen im Dienste der
Republik vorgestellt, die auf spezielle Funktionen spezialisiert waren.
Kehren wir jedoch zu unserem Hauptinteresse zurück. Wie ich Dir schon
gesagt habe, können die Zellen eines Organismus ohne Nervensystem und ohne
Gehirn dennoch ein zweckgebundenes Verhalten haben, das ihnen optimal dem
Fortbestand und der Vervielfältigung dient. Nicht mehr und nicht weniger als
die von einem zentralen Nervensystem organisierten Zellen. Ihre Methode ist
scheinbar sehr einfach, aber ebenso perfekt.
Genau wie ich Dir gesagt habe, je mehr die Anzahl der Zellen eines
Organismus steigt, so steigt auch die Gesamtheit des Nervennetzes und seines
Zentralsystems, jedoch nicht dessen Perfektion. Diese komplexe Organisation der
Nerven und des Gehirns bildet sich scheinbar, um ein Problem zu lösen, das der
Organismus bereits gelöst hatte, als die Anzahl seiner Zellen so gering war, daß
sie logistisch gesehen alle in Kontakt zur Außenwelt angeordnet waren, wie ich
Dir schon sagte. Über den Schein hinaus muß diese Organisation jedoch auf die
Lösung eines neuen Problems zweckgebunden sein, das hinter dem der Ernährung,
des Überlebens oder der Vervielfältigung der Zellen steht, da die Lösung
eines schon gelösten Problems unverständlich ist.
Gut. Aufgrund dieser Tatsachen muß Deine Theorie der Vorzeitigkeit der
„Ideen“ im Hinblick auf die Wirklichkeit korrigiert oder erklärt werden.
Nach Deiner Lehre ist die Wirklichkeit eine „Kopie“ der „Idee“.
Du hast mich schon verstanden, aber ich gebe Dir trotzdem Informationen, die Dir
die Wissenschaft Deiner Zeit nicht geben konnte. Wie das Gehirn der anderen
Tiere hat sich auch unser Gehirn – und hier bitte ich Dich demütigst, Dich
nicht zu beunruhigen und wohlwollend meinen Brief weiterzulesen – nach den
komplexen Entwicklungen der Zellenanzahl unseres Ahnenkörpers gebildet, der
genauso wie die anderen von einer ersten unsrigen gemeinsamen Ahnenzelle
entstanden ist. Und wie alle Organismen hatte auch unser Ahnenorganismus das Bedürfnis,
sich zuerst ein Nervensystem zu bilden und dieses dann im Encephalon zu
zentralisieren.
Voraussetzung dafür ist, daß unsere erste Ahnenzelle und unsere
derzeitigen Zellen eine Struktur mit der Funktion eines zentralen Nervensystems
besitzen mußte bzw. müssen, auch wenn es eines Langzeitgedächtnisses unfähig,
aber dazu fähig ist, das eigene Wohl für sich unmittelbar, d.h. ohne zerebrale
Vermittlung zu bestimmen und das Übel zu verweigern.
Manche interpretieren diese Entscheidungsfähigkeit oder zweckmäßige
Freiheit der Zellen und der azephalen Organismen als reinen Mechanismus ohne
freie Zweckmäßigkeit. Ein sich ohne Zweckmäßigkeit bewegender Mechanismus
geht jedoch gegen die Vernunft. Wenn ein Organismus nämlich keinen Zweck hätte,
wäre er bewegungslos, er hätte keinen anderen Zweck als den zu existieren,
ohne sich für einen Zweck zu bewegen. Durch die Macht, bewegungslos und
vollkommen mit sich selbst befriedigt zu sein, wird ein eventueller Mechanismus
überflüssig, denn die einfache Macht über sich selbst ist an sich ausreichend
für seine Existenz und erfordert keinen Mechanismus, um diesem gemäß zu
existieren. Wo ein Mechanismus ist, muß also unbedingt auch ein zweckgebundenes
Bedürfnis bestehen, das dem Mechanismus durch Transzendenz Effizienz und
Finalität verleiht.
Wie man sieht, besitzen die einzelnen Zellen zweckmäßige Effizienz, sie
besitzen eine logische Effizienz. Und nun ist es notwendig, daß das
Verhalten des aus Zellen ohne zentrales Nervensystem bestehenden Organismus sich
von demjenigen mit zentralem Nervensystem nur dadurch unterscheide, daß es kein
zentralisiertes und langzeitiges Gedächtnis hat. Wie ich Dir sagte, erscheint
uns also die enzephalische Idee wie das Gedächtnis der logisch effizienten
Zellularfähigkeit, das auch zur Erhaltung der abgesonderten Zellen dient,
die logistisch gesehen weitweg vom äußeren Kontakt des Organismus angeordnet
sind. Es ist also anzunehmen, daß sowohl die aus Zellen ohne Nervensystem
bestehenden Organismen als auch die von einem Gehirn organisierten Organismen
eine „Idee“ ihrer Finalität haben. Die ersten haben eine Idee als
Kurzzeitgedächtnis, die nur gegenwärtigen Entscheidungen ohne Erinnerung
oder Gedächtnisbewußtsein der zuvor getroffenen Entscheidungen angemessen oder
nützlich ist und in diesem Entscheidungsakt erschöpfen sie das Gedächtnis von
sich selbst. Die zweiten sollten über die Möglichkeit verfügen, dieses
Kurzzeitgedächtnis zu bewahren, da sie es durch das Nervennetz an ein
finalistisch aktives Archiv zugunsten der Zellen ohne Kontakt zur Außenwirklichkeit
weitergeleitet haben.
Dank dem Nervennetz, das dem Gehirn zuerst das Kurzzeitgedächtnis
vermittelt, es aber dann mit Hilfe desselben Mittels als Langzeitgedächtnis weiter
verteilt, versorgt dieses Archiv Informationen, wie Du gesehen hast,
ebenfalls den logistisch gesehen im Kontakt zur Außenwelt angeordneten Zellen.
Das Gehirn wäre also nichts anderes als nur das Gedächtnis der finalistischen
Bedürfnisse eines Organismus. Sowohl im Organismus mit Gehirn als auch in dem
ohne Gehirn sehen wir jedoch einen zweckgebundenen Mechanismus, der ebenso
perfekt ist, daß wir sogar nicht sagen können, welcher von beiden besser ist.
Wenn wir jetzt zu unserer ersten Ahnenzelle und folglich zum Problem der
Vorzeitigkeit der Ideen in bezug auf die Wirklichkeit zurückkehren, darf ich
wohl annehmen, daß auch Du nun, wenn Du den Ursprung unseres Gehirns und die
Ursache bzw. das Bedürfnis erfahren hast, wonach es sich gebildet hat, also
denken wirst, Sokrates sollte im bewundernswerten Dialog mit Hippias das
Gegenteil dessen vertreten, was er bereits vertreten hatte.
Durch Sokrates würdest Du heute sagen, es sei nicht mehr denkbar, die
Idee von Bett gehe einem wirklichen Bett vorher und sei eine Kopie der von Gott
gegebenen Idee der „Art“ Bett, da in diesem Fall unsere erste Ahnenzelle
sowie die Ahnenzelle anderer Tiere wie Fische und Würmer die Idee von Bett
schon haben mußten.
Die ersten Ahnenzellen hatten kein Gehirn, um historisch zu denken und
konnten also weder die Idee von „Art“ noch die Idee von Bett haben, die
schlechthin historisch ist.
Wie Du gesehen hast, erfordern die historischen Ideen ein zentrales
Nervensystem, um sich zu bestimmen, sich mit den Dübeln des Kurzzeitgedächtnisses
strukturell als Langzeitgedächtnis aufzubauen. Wenn also etwas der physisch
formalen Wirklichkeit vorhergehen muß, wie Deiner Meinung nach die Idee von
„Art“ sein soll, so glaube ich, daß dies im Falle des Bettes nur das Bedürfnis
nach Ruhe sei, das der Idee von Bett vorhergeht, denn das Bedürfnis nach Ruhe
kann auch ohne Bett gestillt werden. Die Zellen spüren dieses Bedürfnis in
bezug auf ihre Form ohne historische oder enzephalische Idee des Bettes oder der
Art des Bettes.
Du siehst nun, daß die Bildung eines zentralen Nervensystems oder
Gehirns auf das Bedürfnis zurückzuführen ist, das Gedächtnis der Bedürfnisse
zu behalten, die das Nervensystem sammelt. Die Bildung des Nervennetzes gründet
sich auf das Bedürfnis, den inneren Zellen des Organismus die Erfahrungen der
Zellen mit Außenkontakt zum Organismus zu übermitteln. Der Kontakt der Zellen
zur Außenseite des Organismus ist auf das Bedürfnis nach Ernährung bzw.
Erkenntnis der Außenwelt für ein inneres Interesse zurückzuführen. Die Ernährung
wiederum gründet sich auf das Bedürfnis nach Existenz. Letzten Endes scheint
es mir, daß all diese von ihren Phänomenen unterschiedlichen Bedürfnisse von
einem einzigen primären und undifferenzierten Bedürfnis angetrieben seien. Mir
scheint, daß das Bedürfnis nach Existenz für alle Phänomene gleich sei.
Wenn es zwar der Wahrheit entspricht, daß die Bildung des zentralen
Nervensystems zeitlich gesehen in der Bildung eines Organismus die letzte ist
und wenn es wahr ist, daß das gebildete Nervensystem oder Gehirn zum Zweck der
Erhaltung des Organismus die erste Rolle hat (auch wenn später das Gehirn
andere Finalitäten haben konnte), glaube ich zu verstehen, und sag mir bitte,
ob ich mich irre, daß der gesamte Organismus aufgrund des Bedürfnisses
nach seiner Existenz besteht. Ist es so, so ist die zeitliche Abfolge dessen,
was wir als Bedürfnisse aufgezählt haben, die zur Bildung des Organismus,
einschließlich seines zentralen Nervensystems führt, nichts anderes als eine
LIste von Phänomenen, die auf ein einziges Bedürfnis zurückzuführen sind.
Die Phänomene sind dann in logischer Reihenfolge, weil ihr Bedürfnis ein
einziges ist. Dasjenige, das als erstes Bedürfnis in der Finalität der
Erhaltung eines Organismus aufgezählt wurde, ist in der Tat auch das letzte,
das heißt gleichzeitig zum ersten und den dazwischen liegenden. Da ihr
Aufeinanderfolgen nur ein Teil vom Ganzen ist, werden sie in diesem Ganzen zur
Einheit. Da das Bedürfnis dem Leiden der Zeit und der bestimmten Numerierung
der Phänomene nicht unterliegt, muß es „eines“ sein und die Phänomene
transzendieren.
Wenn das Primärbedürfnis die einzelnen Phänomene transzendiert, kann
es implizit nicht die Ursache der Phänomene sein, denn zwischen der Ursache und
dem Verursachten kann aus Vernunftbedürfnis kein Naturunterschied bestehen.
Und noch aus Vernunftbedürfnis folgt soeben, daß die einzelnen Phänomene
für sich selbst keine anderen Phänomene verursachen können. Die Phänomene
sind nämlich logisch koordiniert und was koordiniert wird, kann selbst nicht
koordinieren, was beherrscht wird, kann nicht herrschen. Wenn die Phänomene
logisch finalisiert sind, werden sie von der Logik der Phänomene transzendiert.
Und „eine“ und transzendierende Finalität kann nur „ein“ einziges Phänomen
finalisieren. So sind die vielen Phänomene nur Teile eines einzigen Phänomens.
So erscheint es deutlich, daß auch die Bildung der Organismen mit Gehirn dem
gleichen Phänomen gehört, das einzellige Organismen wie die Moleküle, die
Atome und die gesamte Welt der Mineralien, ich meine die gesamte Existenz bildet.
Einige wissenschaftliche Forscher streiten heutzutage ab, daß die Phänomene
eine gebührende Ursache besitzen und sind der Meinung, daß das Phänomen auf
seine „Bedingung“ zurückzuführen sei. Dieser Begriff von „Bedingung“
scheint mir, sich vom Begriff von Ursache nicht zu unterscheiden. Mir scheint,
daß die „Bedingung“ eine Vielzahl von gleichzeitigen Ursachen sei. Anstelle
einer notwendigen vorzeitigen Ursache, wie die Alten sagten, hätte das Phänomen
viele Ursachen und einige davon würden das Phänomen per Zufall hervorrufen.
Abgesehen von der alten scheint mir diese neue Theorie des Zufalls eine
Entstellung der Heisenbergschen Theorie zu sein. Der große Wissenschaftler
wurde davon bewußt, daß die Beobachtung der Phänomene in der subatomaren Welt
(und nur darin, denn im großen Kosmos nimmt man an, daß das Gesetz nicht dem
Zufall überlassen ist) in der Abwicklung der Phänomene selbst als Mitursache
mitwirkte und sie dabei kontaminierte. Er stellte fest, daß die einzige Möglichkeit,
sich an die Wahrheit der Phänomene anzunähern, darin bestehe, die Ergebnisse
der Experimente zu numerieren und zu sehen, bei wie vielen Beobachtungen zu
bestimmten „Bedingungen“ das erwartete Phänomen eingetreten sei. Dies
bedeutet, den „Bedingungen“ eine verursachende Macht anzuerkennen.
Das Phänomen hinge auch noch vom Notwendigsein der Ursache ab und
sei nicht dem Zufall überlassen. Der Zufall würde nämlich den Wert der
Wahrscheinlichkeitsrechnung entkräften. Wenn das verfehlte Phänomen auf den
Zufall zurückzuführen wäre, so wäre es auch das Phänomen selbst und auf das,
was sein und zugleich nicht sein könnte, kann man keine Wissenschaft gründen.
Heisenberg durfte fest an die erforderliche Beziehung zwischen Ursache und
Wirkung glauben, wenn er eine Untersuchungsmethode der Beziehung Ursache und
Wirkung ausarbeitete, in welcher die Unstetigkeit und die Ungenauigkeit der
Beobachtung von Seiten des Forschers auszuschließen sei.
Wie ich also sagte, daß die Phänomene keine anderen Phänomene
verursachen können und diese aufgrund des Primärbedürfnisses existieren, das
sie transzendiert, so kann wohl dieses Bedürfnis sie nicht verursachen,
andernfalls würde es sie nicht transzendieren, da zwischen einer Ursache und
dem Verursachten eine Beziehung derselben Art notwendig ist.
Vor einiger Zeit glaubte ich, der Beweggrund der Phänomene sei eine
effiziente Ursache, jetzt aber sehe ich, daß der Begriff von Ursache so
gebildet ist, daß es dem, was ich sagen will, nicht entspricht.
Unter „Ursache“ versteht man das, was die Macht einer Tat, die das
Verursachte ist, besitzt. Dieses Verhältnis setzt eine temporale Vorzeitigkeit
der Ursache gegenüber dem Verursachten voraus, während ich jetzt zu verstehen
glaube, daß zwischen dem Phänomen und seinem Bedürfnis kein temporales Verhältnis
besteht (des Davor im Vergleich zum Danach), ein Verhältnis von Geben und
Nehmen, aber von gleichzeitigem „Sein“. Das Bedürfnis der Welt, das wir mit
dem Namen Gottes bezeichnet haben, kann nicht nur Ursache der Welt sein, denn
dies würde ja bedeuten, der Ursache die Natur des Verursachten zuzuschreiben,
es kann auch nicht Effizienz der Welt sein, denn es ist unmöglich, daß etwas
Effizientes wie die Welt auf ihre Effizienz folgt. Daher sind die „Ursachen“
und die Phänomene gleichzeitig und unangemessen ist ebenfalls der moderne
Begriff von „Bedingung“, wenn man eine Vorzeitigkeit der „Bedingung“ den
Phänomenen gegenüber voraussetzt. Den wissenschaftlichen Forschern zufolge
kann nämlich das Phänomen ohne „Bedingung“ nicht eintreten, also ist die
„Bedingung“ eine Vielzahl von Ursachen und das hat sich als unmöglich
erwiesen.
Die logischen Zeitfolgen der Phänomene sind also darauf zurückzuführen,
daß sie Folgeteile eines einzigen unverursachten und vom Bedürfnis nach seiner
einheitlichen Existenz transzendierten Phänomens sind. Daraus folgt, daß
zwischen einem vorzeitigen und einem darauffolgenden Phänomen dieselbe logische
Beziehung wie zwischen Ursache und Wirkung besteht, abgesehen von vorübergehenden
Abweichungen des Verlaufs des vorgesehenen Phänomens, verursacht von der
Interferenz der Freiheit unbekannter Phänomene, die, sobald sie bekannt sind,
ihrem Verlauf vollständige Logik wiedergeben, als ob sie auf notwendige
Ursachen zurückzuführen seien. Der Zufall ist daher ausgeschlossen.
Sicherlich wirst Du mich jetzt fragen, ob ein bestimmtes Phänomen ohne
objektive Ursachen, d.h. ohne „Bedingung“ eintreten kann.
Auf den ersten Blick scheint dies unmöglich, aber ich habe Folgendes
beobachtet: Ein Bund Schößlinge einer Pflanze wuchs homogen aus dem Samen im
Schatten eines Mäuerchens. Nach einiger Zeit sah ich, daß einige dieser Schößlinge
zur Seite gebogen waren. Ihre Enden bogen sich zu einem Schlitz in der Mauer hin,
wodurch Licht und Luft kamen. Nach einigen Tagen bemerkte ich, daß die zum
Licht gebeugten Schößlinge mehr als die anderen gewachsen waren und
entschieden auf die Spitze der Mauer hin ragten. Es war offensichtlich, daß
diese Schößlinge sich zweckmäßig in einer verschiedenen Weise als die
anderen und bezüglich ihres Wachstums optimal verhielten. Die anderen blieben
kleiner. Ich stelle Dir nun diese Frage: war es als vorzeitige Ursache
des größeren Wachstums jener Schößlinge der Schlitz oder ihr persönliches
Bedürfnis, mehr zu wachsen?
Meiner Meinung nach sind sowohl die eine als auch die andere gleichzeitig.
Ist der Schlitz die Ursache, so sind meiner Meinung nach auch der Samen,
der Boden, die Wärme deren Ursachen, der Schößling selbst ist Ursache des Phänomens
seines eigenen größeren Wachstums. Wenn es so ist, so ist der Schößling
Ursache seiner selbst, aber das ist, wie wir gesehen haben, unmöglich. So ist
das Primärbedürfnis der Schößlinge dasselbe, das Umwelt und Schößlinge
antreibt und gleichzeitig mit ihrer Existenz erscheint, wobei uns die Phänomene
in logischer Reihenfolge als rationale Teile einer einzigen Wirklichkeit
erscheinen. Die „Teile“ sind konsequentermaßen logisch, weil sie
Bestandteile der Wirklichkeit sind und nicht weil sie als Phänomene verursacht
werden, was heißen würde, darin den absoluten Mangel an Freiheit einzugestehen.
Ein offensichtlicher Widerspruch muß jedoch noch gelöst werden: Wenn es
nur eine Wirklichkeit gibt, müssen ihre Teile, d.h. die rationalisierten Phänomene,
so sein wie sie sind und es gibt keine Freiheit? Was ich als planmäßige persönliche
Idee bezeichnet habe ist also eine Illusion? Die Antwort ist, daß das persönliche
Eingreifen auf die Welt der Dinge frei ist, jedoch gemäß dem Gesetz, das von
der Freiheit der Dinge gebildet wurde, die zuvor in der Bildung der Welt
erhalten wurde. Ich habe nicht die Freiheit, nicht zu denken, denn wenn ich
nicht denken will, denke ich, daß ich nicht denken will. So bin ich frei, dem
Evolutionsphänomen der Welt das hinzuzufügen, was der Welt zu ihrer
Entwicklung aufgrund meiner persönlichen Meinung fehlt und da meine Meinung
sich auf ein logisches Bedürfnis gründet, ist sie für die Logik der Welt
notwendig. Die Freiheit wird von der Logik und nicht von einer Laune, d.h. vom
Zufall, gewährleistet. Dieser gewährleistet nicht einmal sich selbst. Denn,
wenn der Zufall zufallsbedingt ist, könnte er auch nicht sein. Was ist, ist von
dessen Notwendigkeit gewährleistet. Auch wenn der Plan persönlich und frei ist,
ist er doch universell und unterliegt den Gesetzen.
Ich wiederhole mich: die Zahlen einer Summe sind mit verschiedenen Werten
frei angeordnet, sie sind also frei, aber die Summe ist einzig und eins ist das
Gesetz, das sie bestimmt. Die Idee der vor dem enzephalischen persönlichen Bewußtsein
stehenden Wirklichkeit ist an die Freiheit der Ahnen bzw. der vorhergehenden
Individuen gebunden und ist Gesetz. Die planmäßige Idee der derzeitigen
Individuen ist frei und wird zu Gesetz, wenn sie kodifiziert wird. Im aktiven,
jedoch nicht rückwirkenden Prozeß ist das Gehirn frei. Wie Du noch lesen wirst,
haben die modernen Forscher festgestellt, daß das Encephalon zwei
unterschiedliche Bereiche aufweist, den genetischen Bereich, der die
atavistischen Erfahrungen als Gesetz angenommen hat und den anderen, die
sogenannte „plastische Zone“, die die freien persönlichen Erfahrungen
darstellt und daher einen persönlichen, vom genetischen Gesetz frei stehenden
Plan ermöglicht. Die Welt bildet sich also durch ihre eigene Freiheit, die
zu Gesetz wird.
Lieber Platon, ich komme nun auf Dein Problem der
Vorzeitigkeit der „Ideen“ gegenüber der Wirklichkeit zurück.
Nachdem wir gesehen haben, daß die rationale oder enzephalische Idee der
Wirklichkeit auf jede gegebene Wirklichkeit folgt, scheint es mir angesichts der
neueren Entdeckungen notwendig, besser, d.h. genauestens zu verstehen, wie man
neben der enzephalischen Idee irgendeines Gegenstandes wie eines bestimmten
Bettes auch die Idee seiner „Art“ haben kann.
Zunächst habe ich also gesehen, daß das einzige Bedürfnis jenes der
Existenz ist und daß die logische und objektive Reihenfolge der Phänomene auf
die Bildung der Totalität finalisiert ist.
Dann sehe ich, daß die Totalität keine Finalität außer sich selbst,
aber auch keine immanente Finalität haben kann. Mir erscheint notwendig, daß
die Summe oder Totalität der Phänomene überhaupt keine Finalität habe, denn
die Totalität ist das Ziel der Finalität ihrer Teile.
Mir scheint, daß eine Finalität nicht immanent sein kann, und zwar läuft
ein Athlet, um den Wettkampf zu gewinnen. Der Sieg geht über das Laufen hinaus
und transzendiert es, aber würde das Ziel nicht existieren, würde der Athlet
um des Laufens willen laufen. Seine Finalität wäre immanent, d.h. inexistent.
Aufgrund ihrer Natur erfordert die Finalität ihr Erlöschen durch den Ablauf
der eigenen Handlungen zu einem Zielpunkt.
Die Immanenz der Finalität der Welt erscheint mit als ein Zauberspiel,
das in die Tat umgesetzt wurde, um die Unendlichkeit der Welt und zugleich
widersprüchlicherweise den Begriff von Ursache, d.h. ihrer Entstehung aus dem
Nichts, zu retten.
Wenn die Welt nämlich unendlich ist, besitzt sie scheinbar kein Ziel und
ohne ein Ziel verschwindet die Finalität und damit ihre Ursache. Damit sie
nicht verschwindet, wird es behauptet, daß die Finalität immanent zur Welt
sei.
Ich glaube jedoch, daß die Finalität nur in den Dingen ist, die
die Welt bilden und daß die Finalität der Dinge, so wie die Dinge selbst, bei
der Verwirklichung der Welt ausgelöscht wird.
Jemand könnte hervorheben, daß die Totalität der Welt auf ihre Teile
zurückzuführen sei, aber wenn die Teile Finalität besitzen, besitzt auch die
Totalität Finalität. Dieser Aussage kann man mit dem Beispiel der Körper der
Erde antworten, wonach sie auf der Erde ein bestimmtes Gewicht haben, aber die
aus der Totalität der schweren Körper bestehende Erde jedoch kein bestimmtes
Gewicht hat. Eine Finalität als Summe der
Teile anzunehmen, wenn auch nur innerhalb der Welt, bedeutet, dieser Finalität
einen Prozeß der Rückkehr zu den Phänomenen anzuerkennen und daher würde es
zwei Finalitäten geben, eine auf die Totalität hin und eine zurück zu den Phänomenen.
Wäre es so, so wäre auch die Wiederholung von formal identischen Körpern möglich,
da die Form der Körper die Phänomenenform der Finalität ist.
Wegen ihrer persönlichen Finalität müssen also die Körper der Welt
unterschiedlich und in ewiger Veränderung sein. Ebenfalls mit einem zu
erreichenden Zweck bilden sie die Bewegungslosigkeit der Welt. Und wie die
Bewegung der Teile und die Bewegungslosigkeit aller Teile in ihrer Totalität möglich
sei wird uns noch einmal von der Natur der Addenden vorgeschlagen, die zahlreich,
unterschiedlich und beweglich sind und ihre Summe notwendigerweise unbeweglich
ist.
Die Welt kann keine Finalität haben, dies wäre eine Wiedervorstellung (von
Seiten der Welt) dessen, was ihre Teile bereits zu ihrer Bildung zum Vorschlag
gebracht haben. Mir scheint, daß die Finalität der Dinge die Schaffung ihrer
Identität ist, das heißt ihre spezifische Unterscheidung von den anderen. Hätten
die Dinge diese Finalität und somit die Unterscheidung voneinander nicht, würde
die Welt in ihrer Art nicht existieren. Die Finalität transzendiert also die
Dinge bei der Bildung der Welt. Würde die Welt die Finalität der Dinge
bekommen, würde sie sich selbst zerstören. Die Finalität liegt in der
Welt, ist aber nicht von der Welt. So sieht man deutlich die
Notwendigkeit für eine logische, d.h. finalisierte Koordination zur Bildung der
Welt, der einzelnen Teile der Welt, die sie transzendieren soll, ohne deren
Ursache zu sein.
Lieber Meister, ich glaube zu verstehen, daß die Weisen der
Existenz von einem einzigen Bedürfnis verursacht sind und daß es der Wahrheit
entspricht, daß die Weisen der Existenz von der Freiheit der
existierenden Dinge abhängen.
Ohne Freiheit sind nämlich unendliche Arten des Seins nicht möglich. Übrigens
ist es für das Bedürfnis nach Existenz sinnlos, eine Existenzform anstelle
einer anderen aufzuzwingen. Bevor irgendeine Existenzform existiert, ist es unmöglich,
eine Existenz einer anderen vorzuziehen, also ist die Freiheit mit der Existenz
verwurzelt und jede Vorbestimmung der Welt ist unsinnig. Wir können also
glauben, daß die Existenz die Freiheit hatte und hat, sich selbst eine Form zu
verleihen und nicht als eine Entscheidung, die die Existenz mehrerer zur Auswahl
stehenden Formen voraussetzen würde. Sich selbst eine Form zu verleihen heißt
es, selbst die eigene Form zu erfinden. Nur in dieser Weise besteht die Freiheit,
denn die Freiheit, zwischen der
einen oder anderen Form zu wählen, ist eine obligatorische Entscheidung
zwischen der einen oder der anderen. Ursprüngliche und absolute Freiheit ist
nicht das Wählen, sondern das Schaffen einer Form und dies beinhaltet natürlich
die Gleichzeitigkeit der Existenz und von Gott, wahrgenommen als Bedürfnis nach
Existenz, wie ich schon gesagt habe. So nahm unsere erste Ahnenzelle ihre eigene
Form an. Da sie keinen Zwang hatte, was sie entschied, war im Hinblick auf ihren
Zweck perfekt. Sie entschied von selbst ihre Lebensform, genauso wie die Moleküle,
die Atome und die kleinsten Teilchen, aus denen sie bestand, getan hatten.
Aufgrund der Evolution der Art der Existenz bilden sich die ersten
Zellen in einem Organismus und später setzen einige ein zentrales Nervensystem
zusammen, um auf die entsprechende Weise zu existieren.
Was Du Idee der Art des Bettes nennst, ist also die Idee der
genetischen Ruhe, kombiniert mit einer Vielzahl von Ideen, die sich auf alle zur
Erfahrung gehörenden Betten beziehen, d.h. auf die Ruhemittel, die von einem
einzigen Bedürfnis hergekommmen sind.
Ich glaube dann zu verstehen, daß die „Idee“ des von Dir gedachten
Bettes weder ein formales Verhältnis zu einem bestimmten Bett noch zu
Gegenständen hat, die aus Analogie dieselbe Finalität der genetischen Ruhe
aufweisen.
Vor Milliarden von Jahren gab es kein Eßbesteck, weil es nicht notwendig
und aus Bedürfnis nicht erforderlich war. Heute kann dieses Besteck daher kein
Ähnlichkeitsverhältnis oder formale Nachahmung zu einer Idee seiner „Art“
haben, die von Gott abstammend, wie Du glaubst, schon immer in den Zellen
und in den Atomen unserer Ahnenmoleküle existieren müßte.
So geschieht es, daß jener Teil des Gehirns (einer Person), der für das
Gedächtnis der Notwendigkeiten bzw. der genetischen Bedürfnisse nach Ruhe zuständig
ist, unverzüglich mit dem so genannten plastischen Teil des Gehirns in
Wechselwirkung steht, der für die gegenwärtige Verarbeitung des finalisierten
Verhaltens des gesamten Organismus zuständig ist, und mit der Form eines Bettes
die Möglichkeit verknüpft, das Bedürfnis nach Ruhe zu stillen, auch wenn
diese Person noch nie die Idee von Bett hatte. In der eventuellen Verwendung
eines Gegenstandes aus Notwendigkeit wird also scheinbar für diesen Gegenstand
die Idee geschaffen, die Du „Art“ heißt. Jeder Gegenstand, wie ein
Bett, ist also etwas anders als seine finalisierte Funktion, die ihn
transzendiert (die Gewißheit, daß die Gegenstände von ihrer Finalität
transzendiert werden, erhält man, wenn man sieht, daß Gegenstände, die sich
in ihrer Form und Funktion voneinander unterscheiden, eine identische Finalität
besitzen, wie die Uhr und das Stundenglas). In Wirklichkeit ist das Bett formmäßig
einzigartig. Es ist von jeder anderen Form von Bett unabhängig und daher unabhängig
von der Idee der „Art“.
Nun kann man meiner Meinung nach verstehen, wie die Beziehung zwischen
Pluralität der bestimmten Gegenstände und Einheit der so genannten Idee der
Art möglich sei. Noch einmal wird es verständlich, über welchen Weg ein Verhältnis
des „Einen“ zu den „Vielen“ möglich sei, wie ich Dir gesagt habe.
Mir scheint es also unmöglich, daß der Tischler Betten herstellt, indem
er eine Kopie der „Idee der Art“ eines Bettes anfertigt, denn zwischen dem
„Einen“ der Finalität und den „vielen“ Betten des Tischlers, wie ich
gesehen habe, ist kein formales Verhältnis möglich. Auf dieselbe Weise kann
ein Künstler, der ein Bett malt, keine Kopie eines von einem Tischler
hergestellten Bettes anfertigen. Jede Idee und jede Darstellung der Idee
erscheint uns einzigartig und von einem vorzeitigen Modell unabhängig.
Man könnte also mit Gewißheit behaupten, daß die Idee der „Art“
der Gegenstände nicht existiert und der Idee der Form der Finalität Platz
machen muß, wie es gesagt wurde, und ich meine, daß der Künstler einen
Gegenstand wie ein Bett malt, der formal gesehen dem vom Tischler hergestellten
„Bett“ nicht „ähnelt“, es jedoch faktisch mit Hilfe der Analogie seiner
finalistischen Funktion darstellt, die an den gemeinsamen genetischen Bedürfnissen
sowohl vom Künstler als auch vom Benutzer des Kunstwerks erkennbar ist. Eine
„Kopie“ ist also unmöglich. Sowohl in der Idee als auch in der konkreten,
physisch wahrnehmbaren Form ist sie unmöglich. Was in der so genannten Ähnlichkeit
unterschiedliche Formen vereint (jede Form ist absolut einzigartig), ist
ihre gemeinsame Finalität und Nutzbarkeit ihrer Finalität unsererseits. Das
vereinende formale Element ist die Synthese der formalen von uns, d.h. von
unserem Projekt finalisierten Elemente. Dies bedeutet selbstverständlich, daß
aus unseren Interessen die von uns nicht finalisierten Formen des wirklichen
Gegenstandes ausgeschlossen werden. Wir haben sie Immer als „zufällig“
bezeichnet, obwohl diese am Gegenstand dieselbe Rolle derer einnehmen, die wir
„substantiell“ nennen. Die für unseren Projekt nützlichen Formen nennen
wir „Substanz“, die ausgeschlossenen „Zufälle“. Es ist jedoch klar, daß
sowohl die „Substanz“ als auch die „Zufälle“ eines Gegenstandes in
Wirklichkeit ein und dasselbe sind. So mag es auch geschehen, daß die, die
bereits als „Zufälle“ eingeordnet wurden, gemäß unserem neuen planmäßigen
Interesse zu „Substanz“ werden.
Lieber Meister, ich gestehe Dir, daß ich Mühe hatte, den Ursprung der
Idee von „Art“ und ihre „substantielle“ Form zu suchen. Du mußt mir
daher sagen, ob diese Mühe sich lohnte.
Jetzt teile ich Dir die Ergebnisse eines von Moruzzi durchgeführten
Experiments mit. „Wenn man die Sichtwahrnehmung umkehrt und von Geburt an vor
ein Auge eine permanente Linse setzt, die die Bilder um hundertachtzig Grad
dreht, erhält man eine im Vergleich zur anderen Seite umgekehrte Strukturierung
der betreffenden Okzipitalrinde“ (Vittorino Andreoli, La norma e la
scelta, Mondadori 1984, S. 25).
Nun verstehst Du, daß etwas, das für ein Auge mit dieser Linse fällt,
für das andere Auge steigt und dies bedeutet, daß wenn die Idee der „Art“
des Gegenstandes vor dem Anblick des Gegenstandes käme, könnte die Linse die
Struktur der für die Wahrnehmung des Gegenstandes zuständigen Gehirnrinde
nicht verändern und wäre die umgekehrte Sicht der Gegenstände nur eine vorübergehende
optische Störung. Wie Du siehst, stehen sogar die Ideen, d.h. die Grundlagen
und Bauelemente der Wirklichkeitsform, wie die vertikale oder die horizontale
Struktur, die Schwerkraft usw., hinter der Wahrnehmung der vertikalen, der
horizontalen Linien der Gegenstände, usw. Diese Ideen bilden sich, wie Du
gesehen hast, nach einer sensoriellen Vorschrift strukturell, also sachlich im
so genannten „plastischen Bereich“ des Encephalons, der für die Erkenntnis
der neuen Probleme und daher für ihre Lösung durch die planmäßige Freiheit
zuständig ist. Dementsprechend wird die logische Struktur des Gedankens von der
physischen Struktur der Gehirnrinde und diese wiederum von der sensoriellen
Wahrnehmung der Wirklichkeit festgelegt. Ich sehe, daß die Logik des Gedankens
von der Logik der außerhalb des Encephalons liegenden Logik vorgeschrieben ist
oder zumindest kann ich mit Recht annehmen, daß die enzephalische Rationalität
harmonischerweise simultan zur Logik der Natur ist. Ich will damit sagen, daß das
Denken sachlich ist und daß die Sinne eine logische und finalistische
Funktionsfähigkeit wie das Gehirn besitzen.
Seit etwa zweihundert Jahren haben sich jedoch die
Philosophen in eine Scheinidee verliebt. Sie glaubten, die „Idee“ der
Wirklichkeit und die Wirklichkeit seien nicht objektiv. Du hattest hingegen vor
über zweitausend Jahren das Gegenteil heftig vertreten. Von diesem Übel werde
ich Dir später erzählen. Nach den neuesten wissenschaftlichen Erkenntnissen können
wir aber sagen, daß das „Subjektive“ sich nur auf das „Individuelle“
beschränkt. Das Individuelle unterscheidet sich vom Subjektiven durch die Möglichkeit,
die objektiven Ideen seines plastischen Encephalons persönlich zu verwenden.
Der Subjektivismus der alten modernen Welt verleugnet hingegen die
Objektivität der Wirklichkeitsidee und stellt dieses Dilemma: Entweder beruht
die Welt auf dem Subjekt (subjektiv beruhend) oder das Individuum ist
vorbestimmt und ohne Freiheit.
Die sachlichen Ideen scheinen mir aber, die Freiheit des Individuums
nicht einzuschränken, welches durch den Eingriff in die Evolution der Welt die
Objektivität der Welt und die persönliche Freiheit bestätigt. Die neuesten
Entdeckungen bestätigen sowohl die Freiheit als auch der Objektivität der
Ideen wieder. Sie streiten die Unveränderlichkeit bzw. die Apriorität der
Bedingungen der Erkenntnis ab. Sie streiten ab, daß alle Individuen diese
Bedingungen gemeinsam haben.
Mein Plan erscheint mir neu im Gegensatz zu dem, den die Sinne meinem
Gehirn übermittelt haben. Mein finalistischer und daher freier Eingriff in die
Wirklichkeit ist objektiv, weil er die Kraft hat, die vorhergehende objektive
Wirklichkeit zu ändern.
Du mußt wissen, daß ich Maler bin und wie ich Dir bereits gesagt habe,
schreibe ich Dir im Endeffekt aus diesem Grunde.
Ich möchte Dir sagen, daß ich anhand der Beobachtungen der Vorgänge,
die mir das Malen eines Gemäldes ermöglichen, sehe, daß es zuerst die Lust
auf das Malen gibt. Sie ist wohl auf jenes Bedürfnis und auf jene
logisch-effiziente Fähigkeit zurückzuführen, von der ich Dir sagte. Dann sehe
ich, daß die Wirklichkeitsidee oder enzephalisches Gedächtnis, welches ich von
der Wirklichkeit habe, mir erlaubt, durch meine Freiheit die Form des von mir zu
planenden Werkes zu erdenken und dies gemäß meinem Zweck, der sich nach meiner
Form oder persönlichen Struktur gestaltet.
Ich glaube, daß das Bild, das ich malen werde, die Ideen oder das Gedächtnis
der Wirklichkeitsgegenstände als Baumaterial, wie Bausteine eines Hauses
anwenden wird und dazu einen Impuls oder Bedürfnis, eine neue Wirklichkeit wie
ein neues Haus zu bieten, das einer neuen Funktion entspricht, die sich nicht
mit den Gegenständen der Wirklichkeit identifiziert, die ich wie Bausteine
verwende und von denen ich eine sachliche Idee habe, sondern sie durch meinen
Zweck transzendiert, das Bild, wie ein Haus, zu machen. Aber während seiner
Herstellung respektiert das neue Bild die planmäßige Idee nicht, auch wenn es
sie nicht umkehrt. Keine vorhergehende Idee des Bildes hat jemals das Bild, das
ich dann gemalt habe, garantiert. Während seiner Herstellung ergibt sich ein
neues Werk wirklich neu und wenn es vollendet und von mir in die Wirklichkeit
umgesetzt ist, sehe ich, daß die Idee, die ihm planmäßig vorausging, nicht
verwirklicht ist. In der neuen formalen Wirklichkeit erkennt man zwischen der
Idee oder Wirklichkeitsgedächtnis und der projektmäßigen Idee und zwischen
dieser und der Idee des neuen Werkes drei Etappen. Die Idee, die ich mir vom
neuen Bild mache, wenn es gemalt ist, ist also die dritte Idee, beginnend vom
Gedächtnis der meinem persönlichen Projekt vorangehenden Wirklichkeit und ich
kann diese Idee haben, erst wenn das Bild fertiggestellt ist und nicht bevor es
begonnen wird, denn davor ist es nur ein Projekt, das eben aufgrund des
Eingreifens der Freiheiten der von meinem Projekt formgemäß unterschiedlichen
Außenwelt unabsehbaren Veränderungen während seiner Ausführung unterliegt.
Das von mir erlernte „Sachliche“ ermöglicht mir seine sachliche Evolution
durch mein Projekt, auch wenn es mir mein gesamtes Projekt nicht erlaubt.
Einige so genannte moderne Theoretiker sind der Meinung, daß das
Kunstwerk, weil es eben aus einem Bedürfnis ohne Garantie des Ergebnisses
entsteht, nicht von der Stringenz des Künstlers erzeugt wird, sondern von der
Irrationalität, verstanden als Freiheit von der Strenge der finalisierten
Folgerichtigkeit. Als „Alogizität“, sagte ein gewisser Benedetto Croce.
Meiner Meinung nach sollte man zuerst das, was keine Stringenz aufweist, von dem,
was nicht rational ist, unterscheiden. Wie Du gesehen hast, verhalten sich auch
die Organismen ohne Encephalon, also ohne Rationalität, mit einer Stringenz,
die vielleicht größer als die der Organismen mit Encephalon ist.
Die Fähigkeit, die Bedürfnisse eines Organismus zu befriedigen, die Fähigkeit
einer persönlichen passenden und produktiven Antwort auf die außerhalb des
Organismus stehenden Bedingungen sind für mich auf eine höchst rigorose
logische Fähigkeit zurückzuführen, die abgesehen von der enzephalischen
Speicherung diese in ihrer wesentlichen Funktion ersetzt. Wie ich dir bereits
gesagt habe, besitzen auch azephale, also nicht rationale Organismen diese Fähigkeit
des logischen Verhaltens, daher sind Rationalität und Logizität zwei
voneinander unterschiedliche Entitäten und doch stuft die vor der
enzephalischen Rationalität stehende Stringenz die enzephalische Rationalität
als Logik ein, da diese hinter jener steht und jene sie von Grund an aufbaut.
Es ist also klar, daß es Stringenz ohne Rationalität, aber keine
Rationalität ohne Stringenz geben kann.
Diese Stringenz oder finalisierte Folgerichtigkeit erzeugt das Leben. Wo
keine Stringenz ist, fehlt auch die Möglichkeit zum Überleben.
Irrational, jedoch noch immerhin logisch kann also nur das Werk eines
azephalen Organismus sein.
Nachdem wir die Rationalität von der Logizität unterschieden haben,
sollte darauf hingewiesen werden, wie eben gesagt, daß die enzephalische
Rationalität das planmäßige Gedächtnis der logisch-effizienten, peripheren Fähigkeiten
des Organismus ist. Im Gegensatz zur
Vorstellung der so genannten modernen Künstler ist also die Form der Kunst zunächst
äußerst logisch, da sie eine Eigenschaft der Natur auf jedem Niveau,
einschließlich des subatomaren Niveaus ist. Zweitens ist sie rational, denn sie
besteht aus dem enzephalischen Gedächtnis der peripheren Zellenlogik. Nur dort,
wo die Zellenstringenz abwesend ist, wird auch jede enzephalische Rationalität
und daher jede emotionale zerebrale Antwort sowohl beim Künstler als auch beim
Nutznießer seines Werkes fehlen.
Eine Gruppe von Wissenschaftlern führte bei einem Makaken ein Experiment
durch, das die Abhängigkeit jeder zerebralen Emotivität von der Zellenlogizität
bestätigt.
Die Reaktionen des enzephalischen Systems wurden elektrisch registriert,
um die Menge der Neuronenantworten des Affen vor einer Zeichnung zu bestimmen (die
Neuronen des Affen stimmen mit denen des Menschen überein). Dem Tier wurde ein
menschliches Gesicht von vorne gezeigt. Dann wurde ihm dieselbe Zeichnung
gezeigt, jedoch ohne Augen. Danach wurde ihm die Zeichnung mit naiven
Linien gezeigt, wie man heute im künstlerischen Fachjargon sagt. Dann wurde das
Bild auseinandergelegt und wurden die Teile ohne logischer Beziehung zueinander
einer ähnlichen Zeichnung gezeigt, die man heute abstrakt, nicht
figurativ, d.h. ohne Analogie zu den genetischen Formen nennt. Die
Neuronenantworten waren vor dem ersten Bild am intensivsten, wurden allmählich
schwächer und waren beinahe beim Anblick des abstrakten Vorschlages
verschwunden (Jean Pierre Changeux, Ragione e piacere, Cortina
1995. S. 25). Wie ich Dir bereits
sagte, hat Moruzzi bewiesen, daß die Struktur des Gehirns von der Struktur der
von den Sinnen übermittelten Bilder der Natur vorgeschrieben ist. Auch dieses
Experiment beweist, daß das Wahrnehmungsvermögen des Encephalons nur dann
einer emotionalen Reaktion ausgesetzt ist, wenn die im Encephalon empfangenen
Bilder logisch sind. Damit ist experimentell erwiesen, daß die so genannte
abstrakte Kunst keinerlei Emotivität hervorruft, weil
sie die Logik der Bilder nicht besitzt. Es ist festgestellt worden, daß
das Gehirn nur die logische Figur erkennt. Der Begriff der Form besteht also,
weil ihre Struktur logisch-effizient ist. Damit will ich sagen, daß die
Wirklichkeit so ist, wie die Sinne sie wahrnehmen und folglich nur so,
wie das Encephalon sie erdenkt. Über die logische Form hinaus besteht daher
keine enzephalische Tätigkeit.
Beginnend von den einzelligen Organismen ist diese Logik der Sinne in der
gesamten Natur zu sehen. Die Logik der Zellen und zwangsweise auch die der Moleküle
und der Atome führte zum Aufbau unseres zentralen Nervensystems, wie ich Dir
schon gesagt habe, das die letztendliche Struktur zur Koordination der logischen
Bedürfnisse der verschiedenen Teile des Organismus ist. In ihrer Funktion
nennen wir diese Koordination Rationalität, die ausbleibt, wenn der
Sinneswahrnehmung die logischen Formen fehlen. Diese werden im enzephalischen
Gedächtnis bewahrt und ermöglichen eine Rationalität auch lange Zeit nach der
logisch-sensoriellen Wahrnehmung. Es kann scheinen, jedoch nur scheinen, daß
diese Rationalität eine Entität sei, die von der logisch-sensoriellen, dem
Gehirn von den Nervenzellen übermittelten Wahrnehmung unabhängig ist. Die
Existenz eines „reinen“, von den Sinnen unabhängigen Verstandes war
scheinbar möglich.
Und nun sage ich Dir, warum ich mich vor dem Kern der Sache so lange mit
einem Vorwort aufgehalten habe. Heute gibt es so genannte Künstler, die die
logische Form der Natur aufgegeben haben und sich auf Dich berufen, denn ihrer
Vorstellung nach hast Du die Kunst verurteilt, da sie figurativ, d.h. logisch
ist.
In Wirklichkeit sind diese Künstler Nacheiferer eines gewissen Professor
Hegel, der sich seinerseits auf Immanuel Kant gründete, den Philosophen, der
generell als Vater der gesamten modernen Philosophie betrachtet wird. Ich werde
Dir dann sagen warum. Dieser Professor Hegel, unter anderem Lehrer der Ästhetik,
der Dich plagiierte, indem er sich Deiner in den Dialogen der „Gesetze“ und
des „Hippias II“ dargelegten Argumente bediente, sagte, daß die Kunst eine
ihre Kräfte übersteigende Aufgabe habe und durch die Anstrengung ihres
Wetteiferns mit der Philosophie ausgestorben wäre. Professor Hegel hielt sich für
einen Philosophen und sagte daher, daß die Philosophie geeigneter als die Kunst
sei, die „höchsten Geistesinteressen“ zu Bewußtsein zu bringen. Die Kunst
konnte höchstens überleben, wenn sie ihre Form aufgegeben hätte. Streitobjekt
ist, wie Du siehst, die logische Form der Natur und heute sind andere berühmte
Professoren davon überzeugt, daß die Logik der Naturform nicht dieselbe der
enzephalischen Vernunft sei. Wie Hegel denken sie hingegen, das „Fleisch“
stehe so weit unten, daß es vom „Geist“ erlöst werden muß, wobei unter
„Fleisch“ die Logik der Natur und unter „Geist“ jede Seltsamkeit an der
Grenze der von irgendeiner Dysfunktion oder von einer enzephalischen Verletzung
erzeugten Demenz zu verstehen ist.
Diesen Einfall des „Geistes“, der das „Fleisch“ besiegt, hat der
falsche Meister kopiert und seinen Schülern als seinen eigenen aufgetischt.
In der Überzeugung, eine gute Tat zu tun, verkündeten diese ihrerseits,
daß die Kunst entweder stirbt, wie ihr Meister wollte, oder überlebt, ohne
eine „Kopie“ der Wirklichkeit zu sein, das heißt, indem sie sich von ihrem
„Fleisch“ befreit, das so tief unten stünde.
Diese neue Kunst als reiner Geist nennt sich „abstrakt“ und entsteht,
wie Du bereits verstanden hast, ohne die logische Form der Wirklichkeit.
Der „Künstler“ tritt bei der Eröffnung seiner Ausstellung auf und
sagt „Kunst ist“, aber niemand sieht etwas, denn würde der Künstler etwas
zeigen, wäre die geistige Reinheit seiner Kunst verdorben. Vor einiger Zeit
zeigten die „Künstler“ weiße Leinwände oder ihren Kot und identifizierten
diese Dinge als den künstlerischen Gegenstand, aber sie waren naiv und sind
nunmehr von den letzten geistig reinsten Einfällen überholt. Jetzt, um die
Anwesenden bei der Eröffnung der Ausstellung seiner Kunst aufzumuntern und ein
sichtbares Zeichen davon zu hinterlassen, daß es die Kunst gibt, sie aber als
reiner Geist mit den Augen des „Fleisches“ nicht erkennbar ist, schneidet
der Künstler Plastik, Stoff, Papier, Kondome oder mit Menstruationsblutungen
verschmutzte Binden in kleine Stücke und verteilt sie an die Gäste, die dann
glücklich ins Restaurant gehen mit der Überzeugung, die Kunst habe sich
endlich von ihren „Zufällen“ befreit.
Wie ich Dir sagte, legte Immanuel Kant den Grundstein davon. Dieser Kant
sagte, daß die Ideen der Wirklichkeit sich in uns nicht deswegen bilden, weil
die Bilder der Wirklichkeit unser Gehirn modellieren, wie Moruzzi bewiesen hat,
sondern weil unser Gehirn aufgrund seiner Fähigkeit oder einer Vorbestimmung
seiner a priori bestehenden Struktur die Wirklichkeit modelliert. Implizit gibt
Kant zu, daß die „Kategorien“ des „reinen Verstandes“ sich im Gehirn
befinden. Du mußt dabei bedenken, daß unser Gehirn nach Kant wie eine Form ist,
eine jener Backformen, womit man in der Küche schön geformte Kuchen herstellt:
gut, die aprioristischen Bedingungen sind diese Formen, die wir anstelle jenes
Teils des plastischen Gehirns besitzen sollten, das sich nach den sensoriellen
Erfahrungen modelliert und wie ich Dir bereits beschrieben habe, sich ausgehend
von einer formlosen Voraussetzung oder in Energiekraft zu einer Struktur aufbaut.
Wie ich Dir gesagt habe, wäre die Form der Natur für Kant wie ein Mehlteig,
der nur dann Gestalt erhält, wenn man ihn in eine Kuchenform gibt, aber Kant
konnte das, was wir dank der Erkenntnisse der Wissenschaft heute denken können,
nicht denken. Die Idee der Wirklichkeit wäre also nach diesem Philosophen von
der Form abhängig, die wir a priori besitzen würden. Die Wirklichkeit wäre
von uns selbst hergestellt und würde außerhalb von uns nicht bestehen, in
jedem Fall hätte sie nicht die Form, die wir sehen.
Er glaubte so fest daran, daß er Folgendes schrieb: „Nichts
Schlimmeres könnte diesen (meinen) Anstrengungen widerfahren, als wenn jemand
die unerwartete Entdeckung machen würde, daß die Kenntnis a priori nirgendwo
ist und sein kann“ (I. Kant, Kritik der praktischen Vernunft, Laterza,
1983, S. 13). Aber jemand hat die unerwartete Entdeckung gemacht: es ist die Evolution
der Arten, die jede unbewegliche Erkenntnis und infolgedessen jegliche
unbewegliche oder aprioristische Bedingung der Erkenntnis ablehnt.
Die Evolution ist jeder Umwandlung des Individuums und der Arten
offen und die Kategorien erscheinen uns als nicht unbeweglich, sondern in
Evolution. Die Kategorien erscheinen uns nicht als Bedingungen der Erkenntnis,
sondern von der Erkenntnis bedingt, wie Moruzzi bewiesen hat.
Unterstützt von Kant sagte also Hegel, daß der
„Geist“, der jenes Etwas im Kampf gegen das „Fleisch“ wäre, den künstlerischen
Kampf nur dann gewinnen würde, wenn er auf die logische Form der Natur
verzichtet. „Man kann wohl hoffen, daß die Kunst immer mehr steigen
und sich vollenden werde, aber ihre Form hat aufgehört, das höchste Bedürfnis
des Geistes zu sein“ (Hegel, Vorlesungen über die Ästhetik, Suhrkamp
1999, S. 142).
Wie Du siehst, sind diese so genannten modernen Künstler, die von den
wissenschaftlichen Erfahrungen widersprochen werden, auf der verzweifelten Suche
nach Stützpunkten für ihre Theorie der Kunst ohne Form. Da Du gesagt hast, daß
die Form der Kunst die „Kopie“ der Wirklichkeit sei und die Form der
Wirklichkeit die „Kopie“ der Idee der Art, d.h. Kopie der von Gott gegebenen
Idee, also einzige wahre Wirklichkeit, sind diese Künstler der Meinung, die
figurative Kunst sei falsch. Um „wahr“ zu sein, dürfte sie keine Kopie der
Kopie der „Wahrheit“, d.h. Kopie der Kopie der Idee „von Art“ sein. Sie
fühlen sich mit Dir verwandt, weil Du gesagt hast, daß die Kunst nicht
wahrheitsgetreu ist. Ich möchte Dich bitten, diesen eifrigen Menschen Deinen
wahren Standpunkt in bezug auf den Wert des Begriffes von „Kopie“ und von
Wahrheit zu klären. Aber da diese so genannten Künstler und ihre Ausdeuter
letzten Endes über mich verärgert sind, weil ich meinen Kot in einer Dose
nicht verschließe und daher „die Intuition des Geistigen“ nicht verleihe, würde
ich mir erlauben, ihnen Deine Theorie der „Kopie“ und der „Wahrheit“ der
Kunst darzulegen, selbstverständlich mit Deinem wunderbaren Text in den Händen.
Und mit Deiner Zustimmung würde ich Folgendes sagen: Platon konnte der Kopie
den negativen Wert von falsch nicht verleihen, was das Gegenteil der
Wahrheit bedeutet, sondern nur den Wert von „entfernt von der Wahrheit“ (Platon,
Politeia X, Rizzoli 1953, S. 476).
Diese Auslegung trifft meiner Meinung nach auf keinen Widerspruch, denn hätte
er gesagt, die Kunst sei das Gegenteil von der Wahrheit, das heißt falsch, nur
weil sie eine Kopie der Wirklichkeit ist, dann hätte er gesagt, die
Wirklichkeit sei auch falsch, da sie eine Kopie der Idee von „Art“ ist.
Nicht nur das, Platon sagt dazu, daß die Ideen der „Art“ von Gott
stammen, der ihr Urheber wäre. Wenn wir also aufgrund ihrer Abstammung aus den
Ideen der „Art“ eine falsche Wirklichkeit erhalten, würde das bedeuten, daß
auch die Ideen der „Art“ falsch sind, da sie auch der Abstammung (von Gott)
unterliegen. Vom Wahren kann das Falsche nicht abstammen und auch nicht vom
Falschen das Wahre und wenn die Ideen der „Art“, die von Gott abstammen,
falsch sind, ist auch Gott falsch.
Aber das hat Platon nicht gesagt und darum ist die platonische Kopie die
Teildarstellung der göttlichen Wahrheit. Alle können akzeptieren, daß die
primäre Idee weit entfernt von der zweiten ist, die zweite von der
dritten, ohne aus diesem Grunde zu behaupten, daß die zweite und die dritte
falsch sind. Die figurative Kunst ist also die Kunst der Wahrheit, auch wenn sie
sich nicht in der Göttlichen identifiziert. Im Übrigen hat das noch niemand
jemals behauptet.
Wenn man jedoch mit der Hand auf dem Herzen die wundervollen Dialoge
Platons liest, versteht man sehr wohl, wogegen Platon seinen strategischen Kampf
führt.
Platon unterscheidet die „technische oder wissenschaftliche Fähigkeit“
(Platon, Das Ion, Rizzoli 1953, S. 90), d.h. „die Fähigkeit, für
einen Zweck zu handeln“, vom Zweck, d.h. von der Thematik der Kunst.
„Diese Fähigkeit, für einen Zweck zu handeln, hälst Du sie also für schön,
wenn sie nur Schäden erzeugt?“ (Platon, Hippias II, Rizzoli 1953,
S. 556).
„Die Mimesis mit etwas Minderwertigen geht einher und erzeugt daher
minderwertige Produkte“ (Platon, Politeia X, Rizzoli 1953, S. 476).
Man sieht deutlich, daß die „Mimesis“ an sich als solche nicht minderwertig
ist. Wenn tatsächlich die Thematik der Kunst die Wahrheit sagen würde, wäre
dies eine schöne Sache. „Wir sind uns bewußt, dem ganzen Zauber der
Dichtung zu erliegen“ (Platon, Politeia X, Rizzoli 1953, S. 482)
und da die Dichtung die Hauptangeklagte ist und nach ihr die Malerei, versteht
man, daß sie beide mit folgenden Worten frei gesprochen werden müssen: „Nicht
gering wird tatsächlich der Vorteil sein, wenn die Dichtung nicht nur süß und
lieblich, sondern auch nützlich erscheinen wird“ (Platon, Politeia X,
Rizzoli 1953,S. 438). Habt ihr vergessen oder wißt ihr wohl nicht, daß „die
Dichter von göttlicher Abstammung sind, in ihnen göttlicher Odem ist. Mit
Hilfe der Chariten und der Musen schöpfen sie die Wahrheit aus vielen
Dingen“ (Paton, Gesetze, Rizzoli 1953, S. 341), daher sagen sie
nicht das Gegenteil der Wahrheit.
Und daß die Mimesis als solche nicht schuldig sei, liest man es im
zweiten Buch der „Gesetze“. „Wenn wir wissen dürfen, daß die Kopie
dank künstlerischer Fähigkeit all ihre Teile, die Farben und die richtige
Figur erhalten hat, folgt es etwa nicht daraus, daß diejenigen, die das wissen,
auch wissen, ob das Werk schön ist oder irgendeinen Mangel an Schönheit
aufweist?“
„Das Kriterium der Richtigkeit in der Mimesis ist
nämlich, wie wir gerade sagen, genau das: ob die nachgeahmte Sache ganz genau
vollkommen dem Original entspricht“. Platon will eine perfekte Mimesis, andernfalls wird sie verurteilt, da
sie nicht wahr ist. Da Platon gesagt hat, daß die Idee das erste Modell der
Form sei, aus welchem die Kopien stammen, so werden die Kopien ihrem Modell
gemäß formal sein und eure Theorie der Ideen ohne Form kommt ins Wanken.
Das würde ich sagen.
Lieber Platon, ich wollte eigentlich diesen Brief abschließen, aber mir
ist nun etwas eingefallen: Nachdem ich erklärt hatte, daß es zwei rationale
oder enzephalische Ideen gibt, und zwar die eine, die die von den Sinnen übermittelte
Realität darstellt und die andere, die zukünftige Realitäten plant, erkannte
ich, aber das habe ich Dir ja schon gesagt, daß unsere Ahnenzellen und die
jetzigen Zellen eine finalistische Wirksamkeit wie die des Encephalons hatten
und haben.
Diese Wirksamkeit der Zellen haben wir logisch-effiziente Fähigkeit
genannt, das heißt mit Anpassungsfähigkeiten zum Überleben ausgestattet und
versehen mit der Fähigkeit, planmäßig Informationen an das Encephalon zu übermitteln.
Ich werde mir nun dessen bewußt, daß auch diese Fähigkeiten sich in zwei
konsequenterweise logischen Phasen abwickeln: die erste unterrichtet die
Zelle der Realität, die vor ihr steht, die zweite verleiht ihr Effizienz bei
der projektmäßigen Übermittlung der erlernten Realität an das Encephalon und
wartet gleichzeitig auf eine Anordnung oder einen Befehl des Gehirns, die
nutzbringend, d.h. projektmäßig zu eigener Gunsten und zugunsten
des gesamten Organismus auszuführen seien.
So sehe ich, daß auch die einzelnen Zellen, genau wie das rationale
Encephalon, zwei „Ideen“ haben, die von zwei unterschiedlichen Funktionen
gekennzeichnet sind. Daher würde ich jetzt von Dir erwarten, daß Du sagen würdest,
die logisch-effiziente Tätigkeit der Zellen sei auf zwei „Ideen“ zurückzuführen,
auch wenn sie nicht in einem enzephalischen Gedächtnis aufbewahrt sind. Nicht
nur das. Da diese Ideen grundlegend der rationalen enzephalischen Ideen sind und
da sie mit diesen das Bedürfnis nach ihrer Existenz gemeinsam haben, würde ich
erwarten, daß Du sagen würdest, die logisch-effizienten Fähigkeiten oder
Ideen der einzelnen Zellen, weil sie vor den rationalen enzephalischen Ideen
stehen, seien von der Wahrheit weniger entfernt und näher an Gott als die
rationalen enzephalischen Ideen, die Deiner alten Lehre zufolge eine Kopie der
Zellideen sein dürften. Ich denke auch, daß Du hinzufügen würdest, die
rationalen oder enzephalischen Ideen, die aus von den Zellen übermittelten
Nachrichten gebildet sind, seien keine mit Hilfe von einer vorbestehenden oder a
priori gegebenen enzephalischen Kuchenform gemachten Törtchen, wie Immanuel
Kant und die so genannte aus ihm herkommende moderne Welt sagen.
Du würdest auch noch erklären, daß die enzephalisch-rationalen Ideen,
die von den logisch-effizienten Zellideen nach einer Planfinalität gebildet
sind, die Wirklichkeit mit ihrem Plan verändern, sodaß die durch den Plan
renovierte Wirklichkeit, da sie von den logisch-effizienten Zellen wieder
wahrgenommen und erneut dem Encephalon übermittelt wird, zur Bildung eines
darauffolgenden enzephalischen Projekts beiträgt, das ebenso kreisförmig von
den Zellen wieder wahrgenommen und erneut dem Encephalon übermittelt wird. So
tragen die logisch-effizienten Ideen der Zellen und die enzephalischen Ideen
zusammen zur Evolution der vorhergehenden formalen Wirklichkeit bei.
Du würdest klar stellen, daß es unmöglich sei, die Zellidee von der
enzephalischen Idee und diese von der Existenzform zu trennen, wie es Moruzzi
beweist, und daß die Ideen der Wirklichkeit
keine „Kopien“ der Wirklichkeit, sondern die Wirklichkeit selbst sind.
Lieber Platon, sage diesen Leuten, die in die Wahrheit verliebt sind, daß
der künstlerische Informalismus die Existenz einer von seiner Quelle unabhängigen
Kenntnis fordert. Er fordert die Trennung der enzephalischen Idee von ihrer
logischen, von der Freiheit der Zellen unseres Organismus gegründeten Form. Und
das scheint mir, abgesehen von allen Lehren und angesichts der modernen
wissenschaftlichen Erkenntnisse, eine Schnurre.
Ich bezeige Dir meine Hochachtung und danke Dir für Deine „Dialoge“,
die für mich zusammen mit den Zelleninformationen meines Organismus der Grund
meiner Vernunft waren und sind.
Dein
Mario Donizetti
Copyright Mario Donizetti - 1997/2000